In Wiesbaden muss sich seit Anfang dieser Woche ein Winzer aus Walluf wegen versuchten Totschlags vor Gericht verantworten. Bei einer amtlichen Weinkontrolle hatte er die Nerven verloren und dem Kontrolleur eine Weinflasche auf den Kopf gehauen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft war das versuchter Totschlag. Vorausgegangen war ein Streit während einer mehrstündigen Kellerinspektion, bei der dem Winzer erst der Kragen platzte und dann die Flasche ausrutschte.
Wie sich Weinkontrolleure vor Ausrastern von Winzern schützen, stand nicht auf der Agenda der Internationalen Konferenz der Weinkontrolleure, die am 28. und 29. Mai 2013 in Bonn stattfand. Tatsächlich sind tätliche Angriffe auf Weinkontrolleure seitens ihrer Klienten eher die Ausnahme. Die Tagung der Weinkontrolleure dürfte relativ entspannt verlaufen sein, denn die Lage an der Weinfront hat sich – im Gegensatz zu anderen Bereichen der Lebensmittelüberwachung – in den vergangenen Jahren mehr und mehr entspannt – zumindest, was die deutschen Weine betrifft. Gut in Erinnerung dürfte den meisten der Glykol-Skandal sein: 1985 hatten österreichische Winzer große Mengen Wein mit Diethylenglykol versetzt, die teilweise wiederum von deutschen Weingroßabfüllern mit anderen Weinen gemischt und vermarktet worden waren. Das war nur der Höhepunkt einer Serie von Skandalen. Bis in die 80er Jahre überschwemmten Millionen Liter gesüßter Billigplörre unter so klingenden Namen wie Wormser Liebfrauenmilch, Oppenheimer Krötenbrunnen oder Kröver Nacktarsch den Markt. Einige besonders dreiste Betrüger produzierten aus Wasser, Farbstoff, Zucker, Glycerin und Aromastoffen Millionen Liter einer Flüssigkeit, die nie mit dem Most einer Traube in Kontakt gekommen war, die trotzdem wie Wein schmeckte und die natürlich mit enormem Gewinn als Wein vermarktet wurde. Man erinnere sich auch an den „Germanisierungsskandal“: Zwischen1978 und 1982 wurden 21 Millionen Liter ausländischer Weine zu deutschem Wein umdeklariert. Fünf Angeklagte wurden damals zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Bis 1985 war die „Nasszuckerung“ erlaubt – was nichts anderes bedeutete, als das es in bestimmtem Rahmen erlaubt war, minderwertigen Qualitäten Zuckerwasser zuzugeben (das Ganze lief auch unter dem bis heute gebräuchlichen Euphemismus “Verbesserung”), damit diese trinkbar wurden. Die Verlockung war groß, den erlaubten Rahmen zu überschreiten und mit Hilfe von Zuckerwasser „natursüße“ Spätlesen zu produzieren. Es wurde gefälscht und gepanscht, was das Zeug hielt, und die Weinkontrolle hatte alle Hände voll zu tun.
Inzwischen hat sich viel geändert: Die Verbraucher haben ihren Geschmack geändert. Seit Mitte der 80er Jahre hält der Trend weg von den süßen hin zu trockenen Weinen an. Die Winzer haben viel dazugelernt. Nach wie vor ist der deutsche Weinbau geprägt von ein paar tausend mittelständischen Familienbetrieben mit Selbstvermarktung. In diesen Weingütern ist eine Generation hervorragend ausgebildeter Jungwinzer mit einerseits perfekter Kenntnis der Weinbereitung und ihrer Technologie und andererseits unglaublich vielen Ideen für die Kelterung individueller Produkte herangewachsen – und bei denen gibt es viele ausgezeichnete Weine zu unglaublich günstigen Preisen. Walter Reineck, der im Weinbauministerium Rheinland-Pfalz in Mainz für die Weinkontrollen zuständig ist, beschreibt die Situation: „Die meisten Winzer haben kein Interesse, gefälschte Weine zu verkaufen. Für sie steht viel auf dem Spiel, sollten sie erwischt werden.“ Zudem sind die Analyseverfahren laut Reineck immer sensibler geworden, verbotene Zusatzstoffe können in immer geringerer Konzentration nachgewiesen werden.
Die deutschen Weinkontrolleure sind natürlich auch für die Überwachung all der Weine zuständig, die als Importe aus anderen europäischen Weinbauländern und den verschiedensten Anbaugebieten in Übersee nach Deutschland kommen. Hier ist denn auch, so Reinecke, verstärkte Wachsamkeit geboten: „Mit der Globalisierung des Weinmarktes werden die Warenströme immer verzweigter und die Rückverfolgbarkeit schwieriger. Es gibt immer mehr önologische Verfahren, mit denen der Wein behandelt werden kann. Ob diese Verfahren immer im zulässigen Umfang angewandt werden, muss überprüft werden. Zudem sind manche Behandlungsverfahren in Übersee zulässig, nicht aber in der Europäischen Union. In Deutschland wird übrigens inzwischen mehr Wein aus dem Ausland als aus inländischer Produktion getrunken.“