In der aktuellen Veggie-Day-Debatte taucht interessanterweise eines der wichtigsten Argumente für eine vegetarische Ernährung – oder besser gesagt: eine Ernährung mit weniger Fleisch – nur am Rande auf: der Gesundheitsaspekt. Weniger Fleisch, Nachhaltigkeit, Tierschutz einerseits und Bevormundung und „Zwangsernährung“ andererseits sind die zentralen Aspekte der Diskussion. Dabei steht inzwischen wohl außer Zweifel, dass eine vegetarische Ernährung (in ihrer ovo-lakto-vegetabilen Variante) gegenüber der herkömmliche Durchschnittskost mit ca. 60 kg Fleisch und Fleischprodukten pro Kopf und Jahr tatsächlich viele gesundheitliche Vorteile bringen kann.
In der pünktlich zur Diskussion erschienenen, aber leider von viel zu wenigen wahrgenommenen dritten Auflage des Standardwerkes „Vegetarische Ernährung“ schreiben der Gießener Mitbegründer der Vollwert-Ernährung, Prof. Claus Leitzman und sein Schüler, der Oecotrophologe Dr. Markus Keller: „Aus der Gesamtheit der heute vorliegenden Studien lässt sich ableiten, dass eine günstig zusammengesetzte vegetarische Ernährungsweise als stärker gesundheitsfördernd und weniger gesundheitsgefährdend einzustufen ist als eine Ernährungsweise, die die üblichen Mengen an Fleisch und anderen tierischen Lebensmitteln erhält“ Leitzmann und Keller arbeiten die wichtigsten potenziellen gesundheitlichen Vorteile einer auf pflanzlichen Lebensmitteln basierenden Ernährung überzeugend heraus:
● Vegetarier haben im Vergleich zu Mischköstlern ein durchschnittlich niedrigeres Körpergewicht und einen niedrigeren BMI: „Übergewicht und Adipositas kommen bei Vegetariern, insbesondere Veganern, nur selten vor.“ Eine vegetarische Ernährung wird demnach in der Regel schon die Entstehung von Übergewicht verhindern. Wer schon an Adipositas leidet, dem bieten vegetarische Kostformen erhebliches therapeutisches Potenzial.
● Vegetarier leiden fast nie an zu hohen Cholesterinspiegeln im Blut. Die Autoren führen das vor allem darauf zurück, dass die Veggies vorwiegend pflanzliche Fette mit einem hohen Anteil ungesättigter Fettsäuren verzehren. Zu viel Cholesterin gilt nach wie vor als wichtiger Faktor für die Entstehung vieler Herz- und Kreislaufkrankheiten (Arterosklerose) und kommt hauptsächlich in tierischen Produkten vor.
● Vegetarier haben wesentlich seltener einen zu hohen Blutdruck als „Allesessern“ ist. Zu hoher Blutdruck ist einer der entscheidenden Risikofaktoren für Herzinfarkt und Schlaganfall.
● Gicht kann durch vegetarische Kost im Zaum gehalten werden. Die Ursache dieser Krankheit ist eine Störung des Purinstoffwechsels. Purine kommen vorwiegend in tierischen Lebensmitteln vor.
● Vegetarische Kost scheint das gesamte System vor Alterungsprozessen zu schützen, wobei u. a. der hohe Antioxidantien-Gehalt der vegetarischen Nahrung und ihr Gehalt an gesundheitsfördernden sekundären Pflanzeninhaltsstoffen eine große Rolle spielen könnte.
● Neben den gesundheitlichen Aspekte gehen die Autoren auch ausführlich auf die Vorteile einer vegetarischen Ernährung aus dem Blickwinkel von Ökologie, Nachhaltigkeit, Welternährung und Klimaschutz ein.
Soweit und so verkürzt und unvollständig einige der wichtigsten Argumente der Autoren, zu deren echtem Verständnis man das Buch mit seinen vielen Quellen lesen sollte. Ganz wichtig: Leitzmann und Keller sind Wissenschaftler – und analysieren die vegetarische Ernährungsweise in diesem Buch aus wissenschaftlicher, nicht aus ideologischer Sicht. Als Vordenker der Vollwert-Ernährung – der sein Engagement auch auf ernährungspolitischer Seite immer galt – hat Leitzmann z.B. immer für eine starke Einschränkung, aber nie für einen völligen Verzicht auf Fleisch plädiert. Das sollten all die Anti-Vegetarier wissen, die glauben, es gebe nur schwarz und weiß – und nicht die vielen Zwischentöne. Ernährung ist Vielfalt und Genuss, und der darf bei aller Gesundheitsdiskussion nicht verloren gehen. Auch das haben Leitzmann und Keller klar erkannt und gehen in ihrem Buch ausführlich darauf ein, dass die Verbindung von vegetarischer Küche und Genuss kein Hexenwerk ist.
Tatsächlich lässt sich Vegetarisches so lecker zubereiten, dass man Fleisch kein bisschen vermisst. Das habe ich noch gestern Abend festgestellt: Leckere Pasta mit frisch zubereiteter Tomatensoße (eigenes Gewächs aus unserem Garten- fruchtig bis zum geht nicht mehr), pikant gewürzt, mit würzigem Parmesan bestreut – dazu ein Rauke-Tomaten-Mozzarella Salat mit selbstgemachtem Pesto. Wer braucht da noch Fleisch bei so viel Geschmack und Würze?
@Sabine: Wenn die Autoren des Buches den Eindruck einer Voreingenommen für vegetarische Ernährung erwecken, könnte das aber auch daran liegen, dass sie infolge langjähriger Forschung und deren Ergebnisse auf diesem Gebiet Konsequenzen gezogen haben und ihre Ernährung umstellten. Es geht in dem Buch (habe die Auflage von 2010 gelesen) auch nie darum, Fleischessern den Genuss an Fleisch absprechen zu wollen, sondern eben gesundheitliche und ökologische Aspekte zum Thema darzulegen. Ich meine mich zu erinnern, dass aber auch das Thema “Geschmack hat viel mit Gewohnheit bzw. Gewöhnung zu tun” angeschnitten wurde. Bücher wie aktuell das von Lierre Keith (einer Ex-Veganerin, die jetzt eine Fleischernährung propagiert) empfinde ich gegenüber dem von Claus Leitzmann und Marcus Keller als unseriös. Wenn man den Unterschied zwischen ideologischer und wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Thema erleben will, eignet sich die Lektüre beider Bücher, finde ich. Irritierend ist für mich, dass eine Ökotrophologin (U. Gonder) ein Buch wie das von Lierre Keith so propagiert, zumal in dem Buch noch nicht mal die Unterschiede zwischen vegetarischer und veganer Ernährung auseinandergehalten werden. Insgesamt hat man bei näherer Betrachtung den Eindruck, dass U.Gonder und N. Worm zu der Liga von Ernährungswissenschaftlern gehören, die die positiven Aspekte von Fleischverzehr predigen. Ob dazu Notwendigkeit besteht in einer Gesellschaft, die laut Statistik immerhin 60 kg Fleisch pro Kopf pro Jahr verzehrt? Als Laie aber kennt man sich bei all den widersprüchlichen Studien (Gonder-Worm – versus viele andere) längst nicht mehr aus.
Vielen Dank für den Kommentar. Zu Ihrer ersten Frage: Die Vermutung, dass vegetarische Ernährung an sich dem Übergewicht vorbeugen kann, dürfte wohl eher der Beobachtung in der Praxis als oecotrophologischer Voreingenommenheit geschuldet sein (..ob es dazu Studien gibt, müsste man nochmal genau im Buch nachschauen oder die Autoren fragen). Was die Bemerkung zum Fleischgenuss betrifft: Ich selbst bin kein Vegetarier und werde wohl auch kein Voll-Vegetarier werden. Ich genieße immer wieder gerne ein gutes Stück Fleisch und gehöre zur “Die Hälfte reicht”-Fraktion. 30 kag pro Jahr reichen!! Wenn wir alle zu diesem Punkt kommen würden, wäre enorm viel erreicht. Ihrer Bemerkung über Vegetarisches in der GV kann ich nur traurig dreinblickend zustimmwen: Bis sich das ändert, bleibt für Leute wie uns noch viel zu tun!
Ein wichtiges und unglaublich umfassendes Buch, keine Frage (das ich allerdings nur in der Vorauflage kenne). Allerdings merkt man den Autoren durchaus an, dass sie von ihrem Thema sehr überzeugt sind – keine weltanschauliche Ideologie hier, das stimmt, aber durchaus eine gewisse ökotrophologische Voreingenommenheit.
Gerade auch, wenn es um solche Dinge geht:
“Eine vegetarische Ernährung wird demnach in der Regel schon die Entstehung von Übergewicht verhindern.”
Kommt da nicht auch der Effekt zum Tragen, dass sich viele (nicht alle) Vegetarier in einer omnivoren Gesellschaft intensiver mit Ernährung auseinandersetzen und insgesamt bewusster essen?
Und zu Ihrem letzten Absatz: Dass vegetarisches Essen durchaus hohes Genusspotenzial hat, ist eine Erkenntnis, die sich schon allmählich durchsetzt – vegetarische und vegane Kochbücher erleben ja gerade einen ungeahnten Aufschwung. Nur: Wer ganz und gar die Augen davor verschließt, dass auch Fleisch für die meisten Menschen Genuss bedeutet und dass sich damit zudem viele Emotionen verknüpfen (weil es ein gesellschaftlich traditionell hoch angesehenes Lebensmittel ist, weil die meisten damit aufgewachsen sind und positive Geschmackserinnerungen damit verbinden), der tut der guten Sache (der Reduktion des Fleischverzehrs) keinen Gefallen. Und um den Bogen zum Veggie-Tag zu schlagen: Da bleibt bei den Kantinenbetreibern noch viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten. Beim derzeitigen Stand der Dinge treibt einem die vegetarische Option in vielen Gemeinschaftsverpflegungseinrichtungen die Tränen in die Augen. Da geht die Fantasie (oder der Wille) der Betreiber/innen und Köchinnen/Köche nämlich oft nicht über Nudeln mit Tomatensauce hinaus.