Gestern auf tellerrand: Meine Glückwünsche an DiabetesDe zum Online-Kommunikationspreis. Ich musste dabei an ein Interview* denken, dass ich vor knapp zwei Jahren mit Dr. Stefanie Gerlach führen durfte. Die Oecotrophologin ist Leiterin Gesundheitspolitik bei diabetes.de – Deutsche-Diabetes Hilfe. An dem, was sie damals über ihre Arbeit und die von DiabetesDE berichtet hat, dürfte sich in der Zwischenzeit wenig verändert haben. Zwischen den Zeilen lassen sich die Gründe für den Erfolg erkennen, den diabetesDE hat :
Mühleib: Frau Dr. Gerlach, sind Sie eine Lobbyistin?
Gerlach: Eher nicht – ich arbeite seriös und transparent. Was ich mache, ist viel besser mit dem Begriff ‚Politikberatung‘ charakterisiert. diabetesDE berät z.B. Abgeordnete und deren Mitarbeiter, indem wir auf inhaltliche Fragestellungen und Handlungsbedarf im Zusammenhang mit der Entwicklung der Volkskrankheit Diabetes hinweisen. Insofern bin ich natürlich durchaus Interessenvertreterin von Patienten, Ärzten und Beratern.
Mühleib: Sie kommen ursprünglich aus dem wissenschaftlichen Bereich. Seit fast zwei Jahren sind Sie „Leiterin Gesundheitspolitik“ bei diabetesDE. Ist jetzt Politik Ihr Kerngeschäft?
Gerlach: Im wesentlichen, ja. Ich war aber immer schon an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis, Beratung und PR – auch in meiner früheren Position als Leiterin des Adipositas-Kompetenzzentrums am Krankenhaus in Hagen. Das setzt sich auch hier fort – nur bin ich jetzt quasi in die Bundesliga gewechselt. Dabei staune ich immer noch, wie viele verschiedene Welten ich in meiner neuen Position miterleben und mitgestalten darf. Der Politikbetrieb hat seine eigenen Regeln, in die man hineinwachsen muss. Das war neu für mich. Den PR-, Marketing- und Medienbetrieb kannte ich in dieser potenzierten Form auch noch nicht.
Mühleib: Welche weiteren Eigenschaften brauchen Sie, um in diesem Job erfolgreich zu sein?
Gerlach: Ich brauche Biss und Dynamik, das ist ganz wichtig! Da kommt mir entgegen, dass ich sowieso proaktiv veranlagt bin. Die Geschwindigkeit mit der hier viele Entscheidungen gefällt werden müssen und die Dynamik dieser jungen, lebendigen Organisation, die enorm breite Wirkung in kurzer Zeit entfaltet hat – das ist schon atemberaubend. Ich brauche eine hohe Aufmerksamkeit, Gespür für Timing und Themen, strategisches Denken. Kommunikativ und kooperativ bin ich Gott sei Dank immer gewesen. Zudem bin ich für das Team hier Frühwarnsystem und Allrounder in einem, wenn es gilt, neue Themen – z. B. aus der Wissenschaft – zu erkennen und sie in die Sprache der Politiker und der Öffentlichkeit “runter“ zu brechen.
Mühleib: Was sind Ihre Ziele?
Gerlach: Unser Ziel ist es, Diabetes in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen. Alle Beteiligten sind in unserer Gesamtorganisation vereint: Betroffene, Wissenschaftler, (Fach)Ärzte und Diabetes-Schulungs-und Beratungsberufe. Dieses Modell ist für Deutschland schon recht ungewöhnlich. Politisch setzen wir uns für einen nationalen Diabetesplan ein. Alle gemeinsam arbeiten wir an einer gesamtgesellschaftlichen Strategie zur besseren Bewältigung der Herausforderung ‚Diabetes‘. Dabei warten noch viele Fragen auf Antworten, z.B. Wie kann man die Behandlung verbessern? Welche Forschungsfelder sind relevant? Wie lässt sich Primärprävention kostengünstig und effektiv umsetzen? Denn die Zahlen sind erschreckend. Erst Mitte Juni hat das Robert-Koch-Institut die Zahl von 6 Mio. Diabeteskranken in Deutschland bestätigt! Das sind 38% mehr seit 1998.
Mühleib: Ist der Politikbetrieb nicht manchmal auch frustrierend?
Gerlach: Ja. Man muss lernen, in politischen Strukturen zu denken, darf aber dabei nicht unsensibel werden. Meine Devise heißt: Trust in the process! Wer sich mit Adipositastherapie beschäftigt hat, weiß, wie wichtig es ist, mit Stagnation oder auch mal Rückschlägen fertig zu werden und trotzdem sein Ziel im Auge zu behalten und weiter zu machen.
Mühleib: Und was ist Ihre ganz persönliche Anti-Frust Strategie?
Gerlach: Ich gehe tanzen!
* Veröffentlicht in der Mitgliederzeitschrift des Verbandes der Oecotrophologen VDOE POSITION, Ausgabe 03/2012