Schlanke neue Welt im Gleichgewicht:  Ozempic, Semaglutid & Co. sind ‘in aller Munde’ – und es sieht ganz so aus, als könnten die neuen Medikamente aus der Gruppe der GLP-1 Agonisten (Inkretin-Mimetika) zum weltweiten Game-Changer in der Bekämpfung von Übergewicht und Adipositas werden. Falls dem tatsächlich so wäre, könnten parallel zum Gewichtsverlust Millionen von Betroffenen von Heißhunger und ständiger Gier nach Essen befreit sein. Noch schwebt über den blutzuckersenkenden Arzneistoffen das Fragezeichen nach möglichen Nebenwirkungen. Derzeit erscheinen weltweit im Tagesrythmus Studien, in denen akribisch nach Nebenwirkungen gesucht wird. Fast alle geben Entwarnung. Damit verbietet sich zwar eine abschließende Entwarnung vor möglichen Neben- bzw.Langzeitwirkungen. Das hält jedoch von den Diabetikern, Übergewichtigen, Adipösen und Medizinern dieser Welt nur wenige davon ab, in Euphorie zu schwelgen – wobei die Freude bei den Herstellern der teuren Präparate am größten ist.

In einer hochspannenden Reportage unter dem Titel „Ozempic Could Crush the Junk Food Industry. But It Is Fighting Back.“ in der New York Times weist Autor Tomas Weber, auf bisher kaum beachtete „Risiken und Nebenwirkungen“ im derzeitigen Ernährungssystem der Länder hin, die besonders von Adipositas & Co. betroffen sind.  Demnach könnten die GLP-1-Agonisten die Lebensmittelindustrie vor die vielleicht größte Herausforderung der letzten Jahrzehnte stellen und vor allem große Marken zu strategischer Neuausrichtung zwingen. Erste wissenschaftliche Studien zeigen, dass Nutzer von Ozempic und ähnlichen Medikamenten verarbeitete Snacks und zuckerreiche Produkte meiden und stattdessen frische Lebensmittel wie Obst, Gemüse sowie fettarme, eiweißreiche Produkte bevorzugen. Sollte sich das Ernährungsverhalten der Inkretin-Nutzer tatsächlich dauerhaft in diese Richtung ändern, dürfte der Markt für ultrahochverarbeitete Snacks, Junk-Food-Kalorienbomben und Süßwaren aller Art vermutlich einen herben Einbruch erleiden. Tatsächlich reagiert Big Food schon auf die Entwicklung, und viele Unternehmen versuchen sich für die anstehenden Veränderungen zu wappnen, so das Ergebnis von Webers Recherchen.

Dabei zeichnen sich zwei ganz unterschiedliche Strategien zum Ausgleich möglicher Umsatzverluste ab: Ein Teil der Unternehmen beschäftigt sich mit der Suche nach Produkten, die speziell auf die Bedürfnisse und den veränderten Geschmackssinn von GLP-1-Nutzern zugeschnitten sind – mit mehr frischen, säuerlichen Aromen, weniger Zucker und Fett und höherem Proteingehalt und auf der Basis von geänderten Rezepturen und Formulierungen. Die anderen suchen nach Wegen, die Wirkung der Medikamente auszuhebeln. Ganz konkret suchen Unternehmen schon heute nach Möglichkeiten, die körpereigene Dopaminausschüttung zu aktivieren und damit die Wirkung der GLP-1-Medikamente ins Leere laufen zu lassen und den Appetit der Betroffenen wieder zu stzeigern.

Falls diese Welle von zweifelhaften Innovationen auch bei uns in Rollen kommt, was bei der internationalen Aufstellung der Großen Lebensmittelkonzerne ganz sicher nicht ausbleiben wird, sollten die Verbraucherschützer und Foodwatcher schon jetzt in Hab-acht-Stellung gehen, um die Konsumenten vor bösen Überraschungen zu schützen.

Dr. Friedhelm Mühleib