Beim Auftakt der bundesweiten Tage der Schulverpflegung in Berlin hat sich Bundesminister Christian Schmidt für die Einführung eines Schulfaches „Ernährungs– oder Verbraucherbildung“ weit aus dem Fenster gelehnt. „Nicht nur der Satz des Pythagoras gehört in den Unterricht, sondern auch das Einmaleins der Ernährung“, so Schmidt. Damit gibt der Minister all denen Recht, die seit Jahren ein Fach Ernährungs- und Verbraucherbildung in den Schulen fordern. „Um junge Menschen auf eine selbstbestimmte und verantwortungsvolle Lebensführung vorzubereiten, sollten nachhaltiges und reflektiertes Konsumverhalten, Medienbildung, ein Basiswissen über gesamtgesellschaftliches Wirtschaften und finanzielle Zusammenhänge, Ernährungsbildung sowie auch hauswirtschaftliche Fertigkeiten im engeren Sinne Bestandteil des Unterrichtes sein.“ Brigitte Scherb, Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes, ist nicht die einzige die das fordert.
Seit Jahren steht das auch an erster Stelle auf der Wunschliste der Oecotrophologin Ines Heindl von der Europa-Universität Flensburg. Im Rahmen des „Politischen Erntedank“ am 29. September 2015 erhielt die Professorin aus der Hand es Ministers die Professor-Niklas-Medaille – die höchste Auszeichnung des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft für herausragende für ihre Pionierleistung als Wegbereiterin für das Schulfach Ernährungs- und Verbraucherbildung in Schleswig-Holstein. Die Medaille erhielt sie zusammen mit Barbara Methfessel. Auch Methfessel wurde für ihre Leistung als Professorin für Ernährungs- und Haushaltswissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und ihr ehrenamtliches Engagement für die Ernährungsbildung geehrt. Herzlichen Glückwunsch an die beiden!
Doch wie viel wert ist das Wort eines Ministers, was zählt eine Medaille aus seiner Hand. Mehr als ein Karnevalsorden? Oder ist die Medaille als Beruhigungspflaster gedacht, für zwei kämpferische Frauen, die sich ein Berufsleben lang stark gemacht haben für mehr Ernährungs- und Verbraucherbildung in den Schulen – mit ersten Erfolgen, aber lange nicht mit dem Erreichten zufrieden. Lieber Herr Schmidt, bringen Sie das Einmaleins der Ernährungs- und Verbraucherbildung überall in die Schulen hinein. Herr Minister, Sie schaffen das!
Ernährungsbildung kommt, aber sicherlich nicht einfach als neues Schulfach, so wie es jetzt mal wieder gefordert wird. Und auf keinen Fall lässt sich der Wunsch des Ministers oder der Ruf der LandFrauen nach einem Schulfach Ernährung mit dem Ansatz vergleichen, den Ines Heindl seit langem verfolgt!
Schleswig-Holstein hat durch die engagierte Initiative von Frau Heindl in der Tat als erstes Bundesland das Fach Verbraucherbildung an allgemein bildenden Schulen eingeführt, um die Themen Ernährung und Gesundheit bzw. Konsum und Lebensstil aufzugreifen. Das Fach löst im Fächerverbund Arbeit-Wirtschaft-Verbraucherbildung von der 5. bis zur 10. Klasse das Fach Haushaltslehre ab. Mit Blick darauf wurden dann auch Konsequenzen für die Lehrerausbildung gezogen, indem entsprechende BA/MA-Studiengänge geschaffen wurden.
(vgl. https://www.uni-flensburg.de/ihl/downloads/Verbraucherbildung.pdf)
Und genau dies wird beim oft allzu leichtfertigen Ruf nach einem Schulfach Ernährung übersehen: In Deutschland gibt es derzeit ja noch nicht einmal genug Lehrkräfte für das in vielen Ländern schon bestehende (Wahl)Fach Hauswirtschaft, und im Gegensatz zu Schleswig-Holstein wird die Lehrerausbildung dazu woanders eher ab- als aufgebaut.
Dennoch tut sich seit dem KMK-Beschluss zur Ernährungs- und Verbraucherbildung etwas in den Ländern: In vielen Bundesländern (Berlin, Baden-Württemberg, NRW etc.) sind Rahmen-Lehrpläne in Arbeit, die eine Ernährungs- und Verbraucherbildung fächerübergreifend verankern sollen, mit Stärkung der Inhalte in sog. Ankerfächern bei gleichzeitiger konsequenter Berücksichtigung als Querschnittsthema in weiteren Fächern.
(vgl. http://www.kmk.org/presse-und-aktuelles/meldung/empfehlungen-der-kultusministerkonferenz-zur-verbraucherbildung-an-schulen.html)
Das ist der einzig sinnvolle und gangbare Weg, der eigentlich auch von Seiten des Bundes (und von weiteren Akteuren im Bereich der Ernährungsbildung!) unterstützt werden muss, wenn Beiträge in Sachen Ernährungsbildung ernst genommen werden sollen…
Dr. Margareta Büning-Fesel
Geschäftsführender Vorstand
aid infodienst
Liebe Frau Büning-Fesel, vielen Dank für den vertiefenden Kommentar, der allerdings mehr Fragen aufwirft als er beantwortet. Nur drei davon:
– Was nutzen Rahmen-Lehrpläne zur flächenübergreifenden Ernährungs- und Verbraucherbildung, wenn – wie sie kritisch anmerken – die Lehrkräfte fehlen. Werden die Pläne nicht schnell Makulatur, falls hier nicht tatsächlich mehr Lehrkräfte ausgebildet werden?
– Wäre das Problem zu lösen durch Ernährungs- und Haushaltswissesnchaftler(innen), die
sich in einer professionell geleiteten Ausbildung (z.B. in einem Re –
ferendariat) fachdidaktische Kompetenzen aneignen?
– Die Landfrauen bringen sich mit Ihrer Pressemeldung ganz offensichtlich in Stellung. Ihr Statement ist eher ein Angebot als eine Meldung. Die Botschaft: Wir stehen für die Ernährungsbildung in den Schulen bereit. Dafür kann man den Landfrauen danken – aber fehlt da nicht leider die Qualifikation, die Lehrkräfte brauchen?
Lieber Herr Mühleib,
gerne antworte ich auf Ihre Fragen.
Zum Lehrermangel: Eine breitere Verankerung der Ernährungs- und Verbraucherbildung in Schulen ist auch mit den jetzt vorhandenen Lehrkräften möglich, wenn die Inhalte nicht nur in Trägerfächern und Lernbereichen wie Arbeitslehre, Verbraucherbildung, Ernährungslehre, Hauswirtschaft oder Sozialwissenschaften aufgegriffen wird. Auch im natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht (Biologie, Erdkunde, Politik, Wirtschaft ect.) ist es möglich, eine kompetenzorientierte Ernährungsbildung zu gestalten. Dies wird u.a. auch in dem von Frau Prof. Heindl mitentwickelten Curriculum zur Ernährungs- und Verbraucherbildung (REVIS) nahe gelegt (vgl. dazu https://shop.aid.de/3925/ernaehrungs-und-verbraucherbildung-im-unterricht).
Nein, das “Problem” lässt sich nicht mit externen Fachkräften lösen, auch wenn diese sich fachdidaktische Kompetenzen angeeignet haben. Der Unterricht sollte von denjenigen durchgeführt werden, die dazu ausgebildet wurden und verantwortlich sind, also den Lehrkräften. Natürlich können sie punktuell von externen Fachkräften unterstützt werden, um Impulse zu setzen oder auch um Lehrkräfte im Umgang mit Unterrichtsmaterialien zur Ernährungsbildung zu schulen, wie dies u.a. LandFrauen im Hinblick auf den aid-Ernährungsführerschein (oder künftig SchmExperten) tun. Ziel ist es aber, dass die Lehrkräfte diesen Unterricht dann langfristig alleine durchführen! Genauso wirksam wie die Unterstützung durch externe Fachkräfte sind unserer Erfahrung nach auch gezielte Fortbildungen für Lehrkräfte (https://www.ift-nord.de/downloads/ernaehrung_im_focus_2013.pdf)
LandFrauen sehe ich daher mit ihren fachlichen Qualifikationen im Hinblick auf die praktische Durchführung von Konzepten zur Ernährungsbildung eher als Coaches für Lehrkräfte, immer mit dem Ziel, dass diese den Unterricht dann am Ende alleine umsetzen können.