Christoph Klotter, Warum wir es schaffen, nicht gesund zu bleiben. Eine Streitschrift zur Gesundheitsförderung,
Ernst Reinhardt Verlag, München 2009, 163 Seiten, ISBN: 978-3-497-02061-4, Preis: 16,90 Euro
Wir lesen weiter: Ein Buch für alle, die sich beruflich mit Prävention beschäftigen – und natürlich für interessierte Laien: Mit seiner „Streitschrift zur Gesundheitsförderung“ hat Christoph Klotter ein provozierendes Buch vorgelegt, dass an den Grundfesten der Gesundheitsförderung und damit auch der Ernährungsberatung rüttelt.
„Was passiert, wenn Gesundheit zur Pflicht wird?“ fragt Klotter. Seine Antwort: “Die Verpflichtung zur Gesundheit führt quasi automatisch zu gesundheitsabträglichem Verhalten“, und produziert damit systematisch das Gegenteil von dem, was sie beabsichtigt. So ist der verbreitete Zug zum Missionarischen in Gesundheitsförderung und Beratung nach Ansicht des Ernährungspsychologen, der an der Hochschule Fulda unterrichtet, ein Grund für ihr verbreitetes Scheitern. Der Autor legt den Finger in viele Wunden, über die in der Beratungspraxis nur zu gerne hinweggegangen wird. Wenn Klotter bessere methodische Ausbildung, mehr Supervision, Intervision und Evaluation fordert, so kann man dem nur zustimmen. Sein Fazit: Es gibt auch ein Recht auf ungesundes Verhalten – Prävention und Beratung müssen aufhören, Gesundheitsregeln zu diktieren und deren Umsetzung als Ersatzreligion zu predigen.
Dabei schießt Klotter manchmal etwas übers Ziel hinaus, wie Joseph Kuhn in seiner Rezension im Ärzteblatt bemerkt: „Klotter kritisiert missionarische Tendenzen an der Gesundheitsförderung, er tut dies in missionarischem Tonfall. Er bemängelt die Kampfmetaphern etwa in den Adipositas-Kampagnen und schreibt dann Sätze wie diesen: ‚Der neue Gesundheitsförderungsfundamentalismus schürt Hass und Verachtung’ oder ‚Dergestalt ist Gesundheitsförderung ein Triumph des terroristischen Über-Ichs, das im Grunde nur eines will: nämlich vernichten’. Das trifft weder die Funktion des Über-Ichs in der Psychoanalyse noch die der Gesundheitsförderung.“
Viele Kritikpunkte Klotters an der gegenwärtigen Präventionspraxis mag man trotzdem unterschreiben – etwa wenn er u. a. fordert: – Gesundheitsförderung darf niemandem Gesundheit als Heilsbringer vorschreiben. – Sie sollte nicht alleine um Nützlichkeit bemüht sein und darf nicht nur darauf zielen, die Produktivität zu steigern. – Gesundheitsförderung muss echte Partizipation ermöglichen. Ihre Maßnahmen müssen sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientieren und nicht an dem, was Experten dafür halten. – Gesundheitsförderung sollte im Sinne von Rogers als echte Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden, die dann auch eine Chance auf Erfolg hat.
Leider bleibt der Autor mit diesen hehren Forderungen weitgehend im Bereich des Abstrakten. Der Praktiker hört die Botschaft wohl, doch liefert ihm das Buch kaum Anhaltspunkte für die Umsetzung der schönen Theorie in seiner Praxis. Christoph Klotter sollte das zum Anlass nehmen, schon bald den Folgeband zu verfassen – mit etwas mehr Bodenhaftung und Praxisorientierung für all die Ernähungs- und Gesundheitsberater, die sich in ihrem Berufsalltag auf eingefahrenen Gleisen mäßig erfolgreich bewegen. Zumindest einige von Ihnen suchen händeringend nach neuen Wegen, die mehr Erfolg versprechen. Sie wären dankbar für das neue Buch.