„Alle wollen ‚gesund älter werden‘. Aber die Deutschen tun zum Teil viel zu wenig dafür,“ stellt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt in einem bemerkenswerten Interview in der WELT am Sonntag fest und mahnt „Wir haben es selbst in der Hand“, wie gesund unser Alter wird. Dabei könnte der Weg ins gesunde Alter so einfach sein: Für Müller-Wohlfahrt – Ikone der deutschen Sportmedizin und selbst inzwischen 82 Jahre alt – bräuchte es dafür nur zwei Maßnahmen: Bewegung (..und zwar deutlichmehr als beim  Durchschnitts-Oldie üblich) und altersgerechte Ernährung. Müller-Wohlfahrt bringt es auf den Punkt: „Viele ältere Menschen in unserem Land verwelken!” Wobei nicht das Alter an sich das Probleme sei, sondern die Vernachlässigung der eigenen Gesundheit. Wer gesund alt werden will, müsse sich kümmern: Bewegung, Sport und eine ausgewogene Ernährung seien keine Optionen, sondern Notwendigkeiten, konstatiert Müller-Wohlfahrt

Wie wahr und wie nötig – und das nicht nur aus dem individuellem Aspekt jedes einzelnen alten Menschen. Die Babyboomer-Generation erreicht das Rentenalter, und mit ihr rollt eine demografische Welle auf unser Gesundheitssystem zu, die kaum zu bewältigen sein wird. Wenn die Generation der Babyboomer zur Methusalemplage mutiert, lässt sich ein Kollaps des Gesundheits- und Pflegesystems wohl nur vermeiden, wenn die Oldtimer (.. zu denen ich selbst übrigens auch gehöre) ihrem Ende möglichst gesund entgegengehen. Laut Statistischem Bundesamt wird die Zahl der über 80-Jährigen in Deutschland bis 2050 von sechs auf bis zu zehn Millionen ansteigen. Der Pflegebedarf und die Belastung des Medizinbetriebs werden drastisch wachsen. Die heutige Realität lässt an der Vision massenweise gesund alternder Boomer zweifeln: Denn – Stand heute – bewegt sich der größte Teil der Menschen über 60 zu wenig, leidet an Stoffwechselproblemen oder kämpft mit Rheuma & Co.

All das wird von vielen als unvermeidliche Folge des Alters akzeptiert, was aber – so Müller Wohlfahrt – ein fataler Irrtum ist. Ob Joggen, Radfahren oder Schwimmen – jede  Form der Bewegung wirkt demnach wie eine Altersbremse. Besonders Krafttraining spielt eine entscheidende Rolle, da es Muskelschwund und Osteoporose entgegenwirkt. Noch gravierender als Bewegungsmangel ist dabei die oft mangelhafte Ernährung. Der Stoffwechsel verlangsamt sich mit dem Alter, der Kalorienbedarf sinkt – doch viele essen weiterhin wie in jüngeren Jahren. Die Folge sind Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und viele weitere ernährungsmitbedingte Erkrankungen. Müller-Wohlfahrt betont die Bedeutung einer nährstoffreichen Kost mit angepasstem Energiegehalt: „Haferflocken, Vollkornprodukte, Salate und gesunde Fette sind essenziell. Die mediterrane Ernährung, die auf Olivenöl, Fisch und Gemüse setzt, ist nach wie vor unschlagbar.”

In den vergangenen Dekaden seit dem Start der Wohlstandsgesellschaft Prävention, haben es leider die wenigsten geschafft, allein aus eigener Kraft zu einem solchen gesunden Lebensstil zu finden – was den Schluß nahelegt, dass das auch in Zukunft nicht funktionieren wird ohne Hilfe und Anleitung – es braucht dazu systematische Prävention, um es in einen Begriff zu fassen. Prävention,  die möglichst noch vor Eintritt ins Rentenalter beginnen sollte. Denn ohne ein flächendeckendes Bewusstsein für die Bedeutung von Bewegung, Sport und Ernährung droht dem Gesundheitssystem eine Überlastung, die kaum noch finanzierbar sein wird. Unsere Gesellschaft kann sich ein paar Millionen kranker und danach pflegebedürftige Babyboomer nicht leisten. Die Lösung liegt in unserer Hand: Wer sich bewegt, bewusst ernährt und Verantwortung für sich selbst übernimmt, bleibt nicht nur länger fit, sondern entlastet auch die Gesellschaft. Es ist Zeit zu handeln – nicht morgen, nicht irgendwann, sondern jetzt.

Ernährungsberatung und -therapie spielen bezüglich der Rolle der Ernährung eine entscheidende Rolle. Doch genau diese werden in Deutschland seit jeher stiefmütterlich behandelt. Ernährungsfachkräfte werden hierzulande weder geschätzt noch gehört noch gesehen. Kaum jemand wird über gesunde Ernährung im Alter aufgeklärt und/oder im Bedarfsfall beraten, geschweige denn professionell begleitet. Die Notwendigkeit, Ernährungsfachkräfte stärker in die Präventionsarbeit einzubinden, ist offensichtlich. Wahre Lebensqualität bis ins hohe Alter entsteht durch gesunde Routinen, nicht durch Bequemlichkeit. Um die zu vermitteln, braucht es Fachkräfte mit fundierter Ausbildung (.. dabei bestimmt nicht jene mit dem Zertifikaten zweifelhafter Anbieter für das Absolvieren von Kursen „zum Ernährungsberater in vier Wochen“ und ähnlichen Schwachsinnsdiplomen). Die Chancen für künftige Präventionsmaßnahmen, getragen von ernährungswissenschaftlichem und diätetischen Fachpersonal, sind allerdings leider gleich null. Ernährungsfachkräfte haben hierzulande keine Lobby – und hatten auch nie eine, und das wird sich wohl leider auch nicht ändern. Die Fach- und Berufsverbände versagen seit Jahrzehnten wenn es um politische Lobbyarbeit geht. Ein Trauerspiel, das dramatische gesellschasftliche Folgen haben könnte.

Ürigens: Müller Wohlfahrt, der mit seinen 82 Jahren noch immer „an mindestens fünf Tagen in der Woche“ in seiner Münchner Praxis Patienten behandelt und dabei selten vor 20 Uhr die Pforte schließt, sieht die schräge Hoffnung einiger Verrückter auf den Durchbruch in der Longevity-Medizin für sich selbst nicht als Option: „Ich füge mich einem höheren Gesetz. Ich denke nicht an das Aufhören, habe viel Spaß an meinem Beruf. Und mache weiter, solange ich seriös und konzentriert arbeiten kann. Es kommt, wie es kommt. Ich will niemanden Hoffnung machen, dass er 100 wird. Vielmehr möchte ich die Botschaft senden: Wir können sehr, sehr viel dazu beitragen, dass wir lange gesund bleiben.“

Dr. Friedhelm Mühleib

Illustration KI-generiert

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