„foodwatch inszeniert sich als David im Kampf gegen eine mächtige Industrie. Dabei übt die kleine Verbraucherorganisation mittlerweile selbst großen Einfluss aus – mit umstrittenen Methoden.“ so leitet Carsten Dierig seinen Artikel mit dem Titel „Böse, böse Dickmacher“ in der Welt am Sonntag vom 19. Mai ein. Mit seinen Co-Autoren unterstellt er der NGO, deren satzungsgemäßer Zweck die Förderung des Verbraucherschutzes durch Verbraucherberatung und –aufklärung ist, eher industriefeindliche Propaganda denn echte Verbraucheraufklärung zu betreiben. Die foodwatch-Stellungnahme zum WamS Artikel, die nicht lange auf sich warten ließ, kommt zum Fazit: schlecht recherchiert und in hohem Maße tendenziös, verzerrend, fehlerhaft. Silke Schwartau, seit vielen Jahren Leiterin der Ernährungsabteilung der Verbraucherzentrale Hamburg, kann an der Kritik der WamS-Journalisten nicht viel Überzeugendes finden. Im Folgenden mein Interview mit der engagierten Verbraucherschützerin, die nicht nur auf Grund der räumlichen Nähe (beide sitzen in Hamburg) immer wieder Kontakt mit foodwatch hat :
tellerrand: Frau Schwartau, ein Vorwurf im WamS-Artikel lautet, foodwatch setze grundsätzlich auf reine Konfliktstrategien und sei an einer Lösung von Problemen eigentlich gar nicht interessiert. Können Sie dieses Urteil aus Ihrer Zusammenarbeit mit foodwatch bestätigen?
Schwartau: Das sehe ich anders. Zum einen ist es die Industrie, die permanent Konflikte provoziert. Die beziehen uns in der Regel gar nicht in ihre Entscheidungen ein und stellen uns vor vollendete Tatsachen. Zum anderen habe ich selbst erlebt, dass viele Fragen mit foodwatch gut verhandelbar sind.
tellerrand: Was heißt verhandelbar?
Schwartau: Dass man sich austauscht, sich an einen Tisch setzt, sich Strategien überlegt und Ziele anders oder neu definiert wenn man sich besprochen hat.
tellerrand: Der satzungsmäßige Zweck von foodwatch ist die Förderung von Verbraucherschutz, -beratung und –aufklärung. Damit setzt sich foodwatch als NGO ein Ziel, das mit dem der Verbraucherzentralen im Bereich Ernährung fast identisch ist. Wird foodwatch diesem Anspruch mit seiner Arbeit gerecht?
Schwartau: foodwatch betreibt eine sehr aktive und umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit, die eine andere Ausrichtung hat als unsere Öffentlichkeitsarbeit. foodwatch arbeitet sehr Kampagnen-orientiert. Die Verbraucherzentralen setzen in ihrer Arbeit noch ganz andere Schwerpunkte – wir bieten Vorträge und Einzelberatung an. Wir arbeiten in Gremien – z.B. bei der Stiftung Warentest – mit. Ich persönlich sehe die Arbeit von foodwatch als gute Ergänzung zur Politik der Verbraucherzentralen. Im Übrigen ist die „Gegenseite“ auch auf verschiedenen Ebenen organisiert. Auch in der Lebensmittelwirtschaft gibt es unterschiedliche Verbände, die nicht alle gleich agieren.
tellerrand: Lassen sich Kampagnen nach foodwatch-Muster tatsächlich noch unter den Begriff Verbraucherberatung fassen?
Schwartau: Aus meiner Sicht ja. Wenn ich mir z.B. die Facebook-Seite von foodwatch anschaue, dann gibt es da viele Diskussionsmöglichkeiten. Da werden Verbraucher durchaus auch beraten. Im Zusammenhang mit der Verleihung des goldenen Windbeutels findet ja auch eine Aufklärung über Kalorien-, Zucker-, und Fettgehalte der entsprechenden Lebensmittel statt – das würde ich schon noch unter den Begriff Beratung fassen. Letztlich erfüllt das einen wichtigen Zweck. foodwatch hat ja auch – um nur ein Beispiel zu nennen – im Bereich Acrylamid Untersuchungen in Auftrag gegeben und diese veröffentlicht mit Ergebnissen, die die Behörden immer unter Verschluss gehalten hatten. Das war dann wieder als Grundlage für unsere Beratungsaussagen enorm wichtig. Ich finde, damit wird foodwatch seinem Anspruch durchaus gerecht.
tellerrand: Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), wirft Foodwatch vor, durch die investigative Art des Vorgehens die Arbeit der Verbraucherzentralen zu „entwerten“. Fühlen Sie sich in Ihrer Arbeit durch Foodwatch etnwertet?
Schwartau: Ich sehe mich durch foodwatch eindeutig nicht entwertet. Herr Minhoff positioniert sich hier als ganz klarer Lobbyist für die Lebensmittelindustrie und möchte zudem vielleicht auch einen Keil zwischen uns schieben. Ich sehe mich nicht entwertet, sondern ergänzt.
tellerrand: Bei Anbietern von Produkten jedweder Art legen Verbraucherzentralen grundsätzlich größten Wert auf Transparenz. Foodwatch gibt an, die laufenden Ausgaben vollständig durch Beiträge von Fördermitgliedern und Kleinspenden zu decken, denkt aber nicht daran, seine Finanzen wirklich offen zu legen. Müsste foodwatch hier nicht transparenter sein?
Schwartau: Wenn man einen solchen Anspruch an Transparenz hegt, dann könnte foodwatch da vielleicht tatsächlich noch ein bisschen nachbessern.
Zunehmend beschleicht uns Verbraucher das Gefühl, als Statisten in einer Matrix zu leben. Niemand weiß mehr so recht, was echt und was unecht ist. Da ist es gut, wenn Organisationen wie die Verbraucherzentralen und Foodwatch der “sprachlosen” Masse eine öffentliche Stimme geben. Auch gut ist, dass beide Organisationen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.