Udo Pollmer hat mit seiner Beschimpfung der Ernährungsberatung – insbesondere der Ernährungsberaterinnen – einen kleinen Proteststurm ausgelöst. Das sieht man zum einen an den teils heftigen Kommentaren zu meinem Blogbeitrag „Neue Geschichten vom bösen alten Onkel“. Die Kommentare reichen von Ärger und Wut über Pollmers Äußerungen bis hin zur Aufforderung, auch die Facetten berechtigter Kritik hinter Pollmers platt polemischen Formulierungen zu sehen und daraus zu lernen. Aber auch bei den Berufsverbänden tut sich was.
Als erster Verband hat nun der Verband der Oecotrophologen(VDOE) mit einem offenen Brief reagiert. Der Verband stellt fest: „Fast wären wir wirklich boshaft geworden – aber was bringt es? Dann kam uns eine bessere Idee: Wir laden die Redaktion der Effilee zum Essen ein! So eine Art Realitätscheck, wir lernen auch gern dazu. Das nehmen wir uns in Vorstand und Geschäftsstelle auch mit weiteren Medien vor. Wir werden uns die Genussfeindlichkeit nicht anheften lassen und wollen über Erfolge sprechen.“
Den Beratungskräften unter den Mitgliedern gibt man den Rat: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie sich nicht von Menschen provozieren oder entmutigen, die die Erfolge einer Ernährungstherapie am liebsten unter den Tisch trinken würden, weil dann alles so bleiben kann, wie es ist. Lassen Sie uns weiter unseren qualifizierten Weg gehen, unsere Arbeit evaluieren und Kräfte sparen, um der politischen Verankerung weiter den Weg zu bereiten.“
Ein Berufsverband bewegt sich, reagiert auf die Pollmer-Klatsche und schreibt einen offenen Brief an die Mitglieder, fordert zum Durchhalten auf und will die Redaktion der besagten Zeitschrift zum Essen einladen. Marianne, wenn das mal kein Bewegen ist. Aber diese Durchhalteparolen kenne ich aus meiner “Zentrale” auch. Netter Ausdruck übrigens.:-)
Bewegung war mal, die VDOE-Reaktion scheint mir eher schaumgebremst. In den letzten Tagen schwirrte es in der Szene nur so von neuen Geschichten. Erst „war alles nur zum Heulen“. Diese Geschichte in der Effilee war allerdings nicht neu. Daraufhin kam der Tellerrand mit den Geschichten vom bösen Onkel und forderte die Beraterfront zum Ungehorsam auf. Und – welch Wunder – es wurde im Blog ungewohnt heftig diskutiert. Endlich. Man redete miteinander.
Jetzt schon wieder eine Geschichte, diesmal aus der VDOE-Zentrale: Neue Geschichten von Herrn Pollmer: Davon lassen wir uns nicht aufhalten! –
Und nun fragt man sich: War schon vorher die Luft raus oder ist sie es spätestens jetzt? Wir lieben Kollegen sollen uns nicht aufregen. Wir hätten schon genug getan. Einige von uns hatten ein niederschmetterndes „Es reicht“ auf Pollmers Facebookseite gepostet. Das sei großartig, das sei mutig und wichtig. Auch wenn es natürlich bei so einem wie dem nichts nutzen würde. Egal. Wir sollen weitermachen. So die Aufforderung ex cathedra an die durchgrauste Beraterfront.
Nanu? Womit machen wir weiter? Weiß das hier jemand?
Wir sollen uns nicht provozieren lassen. Ja, warum denn nicht? Endlich kommt Schwung in die vornehme berufsständische Zurückhaltung . Wo wir gerade so schön Fahrt aufgenommen haben, sollten wir uns wirklich nicht aufhalten lassen. Machen wir weiter mit dem, was auf Mühleibs Blog begann.
Im Grunde wissen wir schon alles, was der „böse Onkel“ uns vorwirft. Wenn man unter der Pollmerisierung durchliest, sind da einige Punkte, über die wir nachdenken müssen. Die Ernährungsberatung hat draußen einen schlechten Ruf. Es nutzt nichts, so zu tun, als ob es nicht so wäre. Denn wir wissen selbst, dass es unter uns viele gibt, die sich aus mangelndem Selbstbewusstsein streng an die geltende Fachmeinung halten. Sie nehmen nach Tabellen Maß, bevormunden Patienten mit angeblich wissenschaftlich gesicherten Empfehlungen. Ihre individuelle Beratung erschöpft sich darin, dass sie die Essvorlieben – in Maßen natürlich! – in die ausgetüftelten Speisepläne einbauen. Das tun sie auf dem Boden der DGE-Empfehlungen. Schließlich fordern die zuzahlenden Krankenkassen das ein. Wer einmal einen solchen Ernährunsplan, den ein Patient verknittert aus der Tasche zieht, angeschaut hat, der fragt sich, wem die jeweiligen Kollegen eigentlich verpflichtet sind. Den Krankenkassen? Ihrem Arbeitgeber? Der wissenschaflichen Lehrmeinung? Dem Patienten jedenfalls nicht.
Das sind nur wenige Ausnahmen? Hoffentlich. Aber es sind die, die das Bild der Ernährungsberatung nachhaltig prägen. Weil sie „politisch korrekt“ agieren. Diejenigen von uns, die vorrangig ihrem Gewissen und dem Patienten verpflichtet sind, haben – das merkt man bei internen Diskussionen – Sorge, ihren Job zu verlieren. Sogar dann, wenn das individuelle Vorgehen durch verbesserte Laborwerte nachgewiesen werden kann.
Wir sollten unsere Arbeit gegenseitig an unseren Erfahrungen messen und das Maß an eine „korrrekte“ Beratung nicht dem grünen Tisch von Politik, Gesundheitsaufklärung, Fachgesellschaften und Krankenkassen überlassen.
Dass sehr viele von uns eine gute Arbeit leisten, das wissen unsere Patienten und unser direktes Arbeitsumfeld. Wo wird das öffentlich kommuniziert? In unseren Fachjournalen und Newslettern liest man nichts über die vielen kleinen Erfolge an der Front. Warum haben wir eigentlich soviel Angst vor den statistisch nicht zu sichernden Erfahrungen von Experten? Das sind doch diejenigen, die direkt am Menschen proben können, was von den klinischen Erfahrungen draußen auf freier Wildbahn funktioniert und was nicht. Die Diskussion um das richtige Verhältnis von Kohlenhydraten und Fetten zum Beispiel wäre längst aus der Welt, wenn man die Ernährungsempfehlungen in den DMP-Diabetes-Schulungen einmal auf Wirksamkeit evaluiert hätte.
Wir sind genussfeindlich? Nun ja, wenn man die Regeln der einschlägigen Fachgesellschaften zum Gesetz macht, sind wir das schon. Das wird besonders dann offenbar, wenn man sich auf den Fachkongressen am Büffet labt. Netterweise halten sich die Sponsoren so gut wie nie an die Empfehlungen, die nebenan im Kongresssall doziert werden. Die sind ja auch nur für den Mann auf der Straße, weil der gesund bleiben soll. Bei den eigenen Leuten gehen wir davon aus, dass sie sich zu Hause gesund ernähren und das hier eine Ausnahme ist, die man ja mal machen darf. Übrigens ein Hinweis, der mir konsequent das Blut in den Kopf treibt, wenn er in den Medien fällt. Wieso muss das überhaupt gesagt werden? Wissen wir nicht, dass eine tägliche Schlachteplatte keine sieben Tage lang gegessen werden kann? Erst wenn darauf verwiesen wird, dass das aber eine Ausnahme sein muss, dann wird es doch interessant. Dann tuppern wir doch lieber noch was davon für zu Hause ein.
Was ist mit unserer Achillesferse? Der Beruf des Ernährungsberaters ist in Deutschland nicht geschützt. Das öffnet Tür und Tor für allerlei fachlich unsachgemäße Betätigungen und unlautere Geschäftsmodelle. Jeder, der sich berufen fühlt, kann in diesem Land anderen erzählen, was sie am besten essen sollen. Das kann sogar recht lukrativ sein, besonders wenn man skrupellos genug ist, die Angst vorm Krankwerden für den Verkauf von Zusatzpräparaten und obskuren Diagnosemethoden zu nutzen. Die von den Berufsverbänden zertifizierten Berater tun so etwas nicht. Das ist der Allgemeinheit aber nicht bekannt. Hinzu kommt, dass es bei den zertifizierenden Berufsverbänden unterschiedliche Berufsbezeichnungen gibt. Ernährungsberater, Ernährungstherapeuten, Diätassistenten…Es wird Zeit, dass alle Berufsverbände über ihre Querelen hinweg an einem gemeinsamen Berufsbild arbeiten und dieses entsprechend in der Öffentlichkeit kommunizieren. Die Fachgesellschaft für Ernährungstherapie und Prävention (FET) e.V. hat in diesen Tagen einen Anfang gemacht. Sie hat einen Verhaltens-Codex für Fachkräfte in der Ernährungsberatung erstellt.
Ein VDOE-Geschäftsessen mit der Effilee! Das ist großartig, das ist mutig! Besonders, wenn dabei die zehn Regeln der DGE unter erlesenen Schmackhappen begraben werden. Schließlich wollen wir doch den Nimbus des Genussfeindlichen abstreifen. Und bitte bitte, liebe Zentrale, dass nicht mitten im schönsten Gelage der ökotrophologische Imperativ fällt: „Hin und wieder sind Ausnahmen erlaubt.“ Sagt es nicht! Auf keinen Fall. Das würde alles kaputtmachen. Genießt das Essen. Morgen und übermorgen und….überübermorgen kommen die anderen Redaktionen zum Realitätscheck.
Lieber Friedel, ich denke gerade an diese tolle Seminar “Besser schreiben im Beruf”, das ich im Freiraum unter Deiner Federführung erleben durfte. Nun bin ich etwas verwirrt. Großer Schreibemeister, was hat die Überschrift “Es bewegt sich was” mit dem offenen Brief der VDOE-Zentrale zu tun?
Versteh ich nicht – wie meinst Du das?