Die einflussreiche American Medical Association (AMA) hat in der vergangenen Woche während ihrer Jahrestagung in Chicago Adipositas offiziell als Krankheit eingestuft. Damit will die (AMA) als größte Standesvertretung der Ärzte und Medizinstudenten in den Vereinigten Staaten dazu beitragen, dass mehr für die Behandlung und Prävention der Fettsucht und ihrer Folgen getan wird. Durch eine aktivere Behandlung der Adipositas hofft man, z.B. auch Diabetes Typ 2 und andere Erkrankungen, die mit Fettleibigkeit in Verbindung gebracht werden, effektiver bekämpfen zu können. Medien und Öffentlichkeit in den USA haben auf die Entscheidung z. T. mit Entrüstung reagiert – Kritik kommt vor allem auch von Seiten der Betroffenen, die ihrem Unmut massenhaft bei Twitter unter dem Hashtag #IAmNotADisease Luft verschaffen. Dabei werden vor allem Befürchtungen laut, die Gleichung dick=krank könne zu zusätzlicher Diskriminierung von Übergewichtigen führen.
Auch in Deutschland fordern eine Reihe von Experten und Mediziner seit langem eine Anerkennung der Adipositas als behandlungsbedürftige chronische Erkrankung – was allerdings von den Krankenkassen strikt abgelehnt wird, da die erstattungspflichtige, langfristige Behandlung Adipöser eine unabsehbare Kostenlawine mit sich bringen würde. Die Frage nach der Notwendigkeit der Anerkennung als Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung der Adipositas gerade auch im Kindes- und Jugendalter steht trotzdem auch bei uns noch nach wie vor im Raum. Was meinen meine fachkundigen Leser aus der Ernährungsberatung dazu: Brauchen wir eine Anerkennung der Adipositas als chronische Krankheit, deren Behandlung von den Kassen bezahlt werden muss?
Übergewicht mit Ausmaß einer Adipositas begünstigt bekanntermaßen die Entstehung verschiedener Krankheiten, hin bis zum Metabolischen Syndrom. Eine Adipositas kann sich lebensverkürzend auswirken. Der Anteil stark Übergewichtiger, die als gesund gelten können, muss eher als gering angenommen werden. Adipositas verträgt daher keine Verniedlichung. Möglich, dass ihre Therapie interdisziplinär besser als bislang gelingt, wenn sie per se als Krankheit anerkannt wird. Eine Anerkennung könnte auch bewirken, dass die verschiedenen Adipositas-Ursachen mehr in den gesellschaftlichen Fokus gelangen. Damit könnte auch einer Stigmatisierung Betroffener entgegengewirkt werden.
Übergewicht in Form von Adipositas muss meist ein Leben lang behandelt werden. Vorbeugen, soweit es eben geht, ist auch hier eindeutig besser als die Behandlung. Speziell bei Kindern und Jugendlichen meint das für Kindergarten, Schule, Kantine und Hort Ernährungsbildung und Verhältnisprävention!
Ich sehe das ähnlich: Ob man sich durch die Zuordnung der Adipositas als Krankheit diskriminiert fühlt, ist eine Frage der Perspektive. Was die langfristige Behandlung betrifft, könnte eine solche Einordnung als chrionische Erkrankung auch sehr hilfreich sein – z.B. in Bezug auf die Finanzierung der Therapie durch die Kassen.
Ärgerlich ist auch, dass damit Übergewicht als Ursache von chronischen Erkrankungen festgeschrieben wird. Dabei wird in der Arbeit mit Betroffenen deutlich, dass die Ursachen woanders liegen. Unschöne Laborwerte nimmt im Vorfeld niemand so richtig ernst. Man wartet einige Jahre, bis die ursächliche Stoffwechselstörung zu weiteren Symptomen wie z.B. Übergewicht oder Diabetes Typ 2 führt und “fummelt” dann gern mit Kalorien- und Fettrestriktion an den Folgeerkrankungen herum, ohne sich um den eigentlichen Anlass zu kümmern.
Liebe Marianne, auch Deinen Kommentar würde ich aus der Perspektive meiner Anmerkung zu Nicolai Worm sehen: Bei Erwachsenen, die seit ihrer Kindheit an Adipositas leiden, ist diese sicherlich ursächlich für diverse Folgeerkrankungen verantwortlichen. Für Menschen, die Ihre Adipositas erst im ERwchsenenalter “erwerben”, gilt das sicher nicht. Auch hier: Differenzierung ist nötig und muss auch der Öffentlichkeit, die gerne schwarz-weiß-Erklärungen hat, zugemutet werden.
Wenn ich so sehe, was Kinder heute an Programm zu erledigen haben, dann trifft auch für diese Altersgruppe die Stresstheorie zu. Und mit Programm meine ich sowohl diejenigen, die neben der Schule noch 1000 andere Aktivitäten in ihren Terminkalendern haben, als auch die große Zahl derer, die weitgehend die TV-Programme und Computerspiele rauf und runter absolvieren. Erzähle mir bitte keiner, dass die keine Auswirkung auf den Cortisolspiegel haben. Wenn man den nicht im Blick hat, schaden Ernährungsprogramme mehr als sie nutzen.
Da zwingt sich schon die Frage auf, was ursächlicher für weitere Erkrankungen ist: Das steigende Gewicht oder der Stress eines nicht kindgerechten Lebens.
Das ist echt irre – während die Forschung immer klarer erfasst, dass der BMI sehr wenig über “krank” und “gesund” aussagt, kommt diese Entscheidung. Damit sind etwa 30 % der “Übergewichtigen”, die aber metabolisch gesund sind, per Definition krank gemacht.
Und was ist mit den etwa 15 % der “Schlanken”, die metabolisch krank sind, weil ihre Organe trotz “normalem” BMI verfettet sind?
Es ist höchste Zeit den BMI als den ausschlaggebenden Gesundheitsparameter zu begraben…
Nicolai Worm
Lieber Herr Worm, zum einen halte ich Ihre Zahl von 30% metabolisch gesunder Dicker für viel zu hoch gegriffen. Wo haben Sie die her? Zum anderen: Ihr Verweis auf die Schlanken mit verfetteten Organen ist ein nicht allzu schwer entschlüsselbarer Hinweis auf Ihr neues Buch mit dem vielsagenden Titel “Menschenstopfleber”. Ohne hier näher darauf eingehen zu wollen: Von denen gibt es natürlich viel zu viele! Das bringt mich allerdings zu der Schlussfolgerung : “Die” Dicken als homogene Zielgruppe gibt es genauso wenig wie “die” Deutschen, “die” Brillenträger oder “die” Fernsehgucker. Wir brauchen endlich mehr Differenzierung. Wir brauchen eine differenzierte Zielgruppendiskussion!