Adipöse profitieren von Wegovy, der Abnehmspritze des dänischen Pharmakonzerns Novo Nordisk. Wegovy-Junkies, die ein Jahr an der Nadel bleiben, nehmen in dieser Zeit bis zu 20% ab. Der Stoff ist allerdings nicht billig. Beim derzeitigen Preis pro Monat von ca. 300,– Euro legen User jährlich gut 3500,– Euro hin für den Spaß. Die wahren Profiteure des Wegovy-Hypes sind dabei der Hersteller Novo Nordisk und seine Aktionäre. Der Aktienkurs des dänischen Pharmakonzerns ist seit Februar vergangenen Jahres bei einem Umsatz- und Gewinnsprung von 30% regelrecht explodiert: Wer vor Jahresfrist in Novo-Nordisk-Aktien investierte, kann sich – Stand Februar 2024 – bei einem Kursanstieg von mehr als 100% über eine Verdoppelung seines Einsatzes freuen.
Prof. Dr. Hans Hauner, Ordinarius für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München und Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin am TUM-Klinikum rechts der Isar, spricht nun in einem bemerkenswerten Interview mit der ZEIT Klartext über den Hype um Wegovy – und scheut dabei auch vor deutlicher Kritik nicht zurück: „Der Hersteller Novo Nordisk hat meiner Ansicht nach auf unethische Art und Weise das Medikament in den USA aggressiv in der Bevölkerung beworben und damit einen Hype entfacht. Das schwappt nun auch zu uns herüber und hat eine Situation heraufbeschworen, die wir Mediziner nicht wollten und die nun schwer zu bändigen ist. Zu viele niedergelassene Ärzte verschreiben Wegovy Leuten, für die es eigentlich nicht vorgesehen ist. Da ist ein regelrechter Graumarkt entstanden. Es gibt sogar schon private Firmen in den USA, aber auch hier in Deutschland, die Mediziner beschäftigen, welche gut betuchte Kunden gegen satten Aufpreis mit Wegovy versorgen. Es geht nur noch ums Geld. Wer Geld hat, bekommt das Mittel. Menschen, die es wirklich nötig hätten, bekommen es nicht, wenn sie den hohen Preis nicht bezahlen können.”
Keine Therapie ohne Ernährungs- und Lebensstilberatung
Dabei legt Hauner Wert auf die Feststellung, dass am Beginn jeder Adipositas-Behandlung die Ernährungs- und Lebensstilberatung stehen muss. Erst wenn die erfolglos bleibt, so Hauner, kommt die medikamentöse Behandlung in Frage. Hauner: „Ich beobachte das Feld seit fast 40 Jahren, das meiste, was auf den Markt kam, war trotz großer Hoffnungen ein Reinfall: Zu groß waren die Nebenwirkungen, zu gering die Wirksamkeit. Ich konnte mir schon gar nicht mehr vorstellen, dass es wirklich einmal einen Wirkstoff geben würde, der so wirksam und so sicher ist wie nun die Klasse der GLP-1-Rezeptoragonisten (..zu denen Semaglutid, der Wirkstoff im Medikamentes Wegovy gehört). Die Zulassungsstudien sehen gut aus, ich bin dennoch vorsichtig.“ Das wahre Ausmaß von Unverträglichkeiten und Nebenwirkungen eines neuen Präparates zeigt sich in der Regel erst in der Routineversorgung. Prof. Dr. Matthias Blüher, der dritte im Bunde des Interviews neben Hauner und dem souveränen und bestens informierten Interviewer Jens Lubbadeh aus der Wissenschaftsredaktion der ZEIT, stellt dazu fest: „Übelkeit, Erbrechen, Magen-Darm-Probleme sind die häufigsten Nebenwirkungen und der limitierende Faktor in der Anwendung. Manche Menschen vertragen Semaglutid einfach nicht und brechen die Behandlung deswegen ab. Ich erwarte nicht, dass diese Nebenwirkungen bei den Folgepräparaten verschwinden werden.” Blüher, Leiter der Adipositas-Ambulanz der Universitätsmedizin sowie Professor für Klinische Adipositasforschung an der Universität Leipzig, weist außerdem darauf hin, dass es ‘Non-Responder’ gibt – Menschen, die auch mit Semaglutid einfach nicht abnehmen. Verlässliche Zahlen gibt es dazu nicht, Blüher schätzt den Antail auf ca. 10% der Adipösen..
Hauner: “Krankenkassen haben panische Angst vor den Kosten.”
Sollten Leser dieses Beitrags bis hierher den Eindruck gewonnen haben, Hauner und Blüher hätten im Gespräch mit der ZEIT nur Wegovy-Bashing betrieben, liegen falsch: Die beiden Experten beleuchten sowohl Pros als auch Contras kompetent und ausgewogen auf der Basis ihres profunden Wissens und großen Erfahrung – zudem immer mit den Bedürfnissen adipöser Patienten im Blick! (.. da die Pros inzwischen überall nachzulesen sind, will ich in diesem Beitrag nicht weiter darauf eingehen.) Noch zu erwähnen ist, dass die beiden Wissenschaftler auch offen zu gesundheitspolitischen und ökonomischen Aspekten der GLP-1-Rezeptoragonisten Stellung nehmen. Semaglutid ist in Deutschland seit 2018 unter dem Handelsnamen Ozempic zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen, die gesetzliche Krankenversicherung erstattet die Kosten von etwa 80 Euro pro Monat. Seit Juli 2023 ist es unter dem Handelsnamen Wegovy auch als Mittel zur Gewichtsreduktion erhältlich, allerdings nur auf Privatrezept – und somit ohne Beteiligung der Kassen. Bei den bereitrs erwähnten Kosten von derzeit ca. 300 Euro pro Monat wird vor dem Hintergrund, dass Adipositas inzwischen als chronische Krankheit anerkannt ist, von vielen Betroffenen die Kostenübernahm gefordert. Das könnte jedoch schlimmstenfalls jeden ökonomischen Rahmen sprengen. Dazu Hauner: „Die Krankenkassen haben panische Angst davor, dass die Kosten explodieren, wenn sie einmal das Türchen öffnen. Sie sehen das Problem, sind aber nicht bereit, etwas zu tun. Immer wieder verweisen sie auf die Gesundheitspolitik, lobbyieren zugleich aber dort gegen eine Erstattung. … Rund 15 Millionen Menschen in Deutschland haben einen BMI über 30. Wenn man die alle mit Semaglutid behandeln wollte, würde unser Gesundheitssystem kollabieren. Wichtig wäre mir vor allem aber, dass die Verschreibung in einem seriösen Setting passiert, also nur Adipositas-Spezialisten das Medikament verordnen dürfen, um Missbrauch zu verhindern.“
Last not Least verdient speziell Hauner Respekt für seine persönliche Haltung zur Zusammenarbeit mit dem Unternehmen: „Ich bin im Obesity-Advisory-Board von Novo Nordisk – aus dem ich aber vorhabe, auszutreten. Besonders erbost hat mich das Verhalten von Novo Nordisk in England, wo sie wegen unlauterer Werbe- und Sponsorenpraktiken sogar aus dem Verband der Britischen Arzneimittelhersteller ausgeschlossen wurden.”
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Das Interview sollte Pflichtlektüre sein für alle, die sich mit Adipositas aus therapeutischer Sicht beschäftigen und natürlich auch für Betroffene. Interessierten, die die Bezahlschranke der ZEIT nicht überwinden können, kann ich auf Anfrage den Text des Interviews für die private Nutzung zur Verfügung stellen. Anfragen an info@muehleib.de.
Hintergrundinfos
WAS SIND GLP-1-REZEPTORAGONISTEN?
Semaglutid gehört zur Klasse der GLP-1-Rezeptoragonisten, auch als Inkretinmimetika bezeichnet. Sie wirken genauso wie das Darmhormon GLP-1, welches eine Insulinausschüttung in der Bauchspeicheldrüse erhöht. Dadurch senken diese Mittel den Blutzuckerspiegel und machen satt. Semaglutid wird, wie auch sein Vorgänger Liraglutid, zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 eingesetzt. Bei regelmäßiger Einnahme bewirken Inkretinmimetika auch Gewichtsverlust.
WAS ZAHLT DIE KRANKENKASSE?
In Deutschland ist Semaglutid seit 2018 unter dem Handelsnamen Ozempic zur Behandlung des Typ-2-Diabetes bereits zugelassen, die gesetzliche Krankenversicherung erstattet Typ-2-Diabetikern die Kosten von etwa 80 Euro pro Monat. Semaglutid ist ein Protein und muss injiziert werden. Seit Juli 2023 ist es in Deutschland auch unter dem Handelsnamen Wegovy als Mittel zur Gewichtsreduktion erhältlich, allerdings nur auf Privatrezept. Die Kosten für das Präparat belaufen sich derzeit auf etwa 300 Euro pro Monat.
WANN KOMMT DIE ABNEHMPILLE?
Mehrere Pharmakonzerne arbeiten an weiteren Inkretinmimetika, die zum einen zu noch stärkerem Gewichtsverlust führen, beispielsweise Tirzepatid, das bereits in den USA und der Schweiz unter dem Handelsnamen Mounjaro zugelassen wurde. Außerdem in der Pipeline sind Inkretinmimetika, die als Pille eingenommen werden können und günstiger in der Herstellung sind.