„Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen sich mehr Informationen, wie das Tier gehalten wurde, von dem das Lebensmittel stammt.“ – so steht es im ersten Punkt der Begründung des neuen „Gesetzes für eine staatliche, verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung“, vorgelegt von Cem Özdemirs Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Das Gesetz ist im August 2023 in Kraft getreten. Ziel der Übung: Verbraucher sollen durch die Kennzeichnung ‚auf den ersten Blick‘ sehen, welches Fleisch von glücklichen Tieren kommt – und dieses dann möglichst auch kaufen. Tun sie aber sehr oft nicht!
Der Wunsch der Verbraucher mach mehr Information in Ehren. Aber: Er ist das Ergebnis von Meinungsumfragen. Doch was sind die wert? Trau, schau wem: Wer würde schon öffentlich zugeben, dass ihm die Haltung der armen Tiere am Grunde des Herzens wurstegal ist? Man hat die Verbraucher nicht gefragt, wieviel die Erfüllung ihres Wunsches kosten darf. Offensichtlich so wenig wie möglich, wie eine aktuelle Studie zeigt: Wird verpacktes Frischfleisch im Supermarkt mit größeren bzw. besser sichtbaren und lesbaren Labels oder Siegeln gekennzeichnet, hat das keinen signifikant messbaren Einfluss auf das Einkaufsverhalten der Kunden im Supermarkt. Mit anderen Worten: Es wird dadurch nur unwesentlich mehr davon gekauft. „Ein Grund könnte sein, dass die Informationen nicht die notwendige Aufmerksamkeit erzielt haben, trotz der hervorgehobenen Weise, in der sie präsentiert wurden”, so Leonie Bach, Erstautorin der Studie vom Institut für Lebensmittel- und Ressourcenökonomik der Universität Bonn.
In einer Studie der Hochschule Osnabrück unter Leitung von Prof. Dr. Ulrich Enneking aus dem Jahr 2019 waren nur 16 Prozent der Einzelhandelskunden bereit, einen Tierwohlartikel anstatt konventionell erzeugter Ware zu kaufen. Tierwohl-Siegel hatten dabei nicht durchgängig einen positiven Einfluss auf die Kaufbereitschaft. Zudem wurden lediglich Preisaufschläge von etwa 30 Cent für einen mittelpreisigen Schweinefleisch-Artikel akzeptiert, der nach Tierwohl-Standards produziert wurde. „Die Ergebnisse haben uns überrascht“, kommentiert Prof. Dr. Ulrich Enneking von der Hochschule Osnabrück. Demnach bekundet ein Großteil der Verbraucher in vielen Umfragen die grundsätzliche Bereitschaft, deutlich mehr Geld für Fleisch auszugeben, wenn es nach höheren Tierwohl-Standards produziert wurde. „Wir wissen jetzt, dass die beobachtete Realität beim tatsächlichen Kaufverhalten differenzierter und komplexer ist. Die grundsätzliche Bereitschaft, im Test mehr Geld für solches Fleisch auszugeben, ist nur bedingt ausgeprägt.“
Das ist nicht wirklich verwunderlich. Dabei dürfte die Schere zwischen Einstellung und Verhalten der Verbraucher nach zwei Jahren heftiger Preissteigerungen bei Lebensmitteln eher noch weiter auseinandergehen. Vom höheren Preis der Produkte aus optimaler Haltungsform abgesehen, soll Einkaufen schnell gehen. Wer hat schon Zeit und Lust, die verschiedensten Label und Siegel zu studieren. Ein Supermarkt ist schließlich keine Volkshochschule. Wenn man vor lauter Labeln und Siegeln vom Produkt nichts mehr sieht, ist das fast schon eine Form von Verbrauchertäuschung. Der Kunde empfindet das als anstrengend und nervig. Tatsächlich gibt es allein zur Kennzeichnung der Haltungsform von Schlachttieren inzwischen absurd viele Siegel, deren Aussage sich kein Mensch mehr merken kann – einen Überblick darüber findet man übrigens auf haltungsform.de und bei der Verbraucherzentrale. Wer den Durchblick will, kann ihn dort finden – ist aber lange beschäftigt damit.
Der Deutsche macht halt gerne Gesetze. Und zudem wissen wir, dass Papier geduldig ist (..wer das Kennzeichnungs-Gesetz lesen muss, hat sich durch 35 eng beschriebene Seiten mit Juristen- und Bürokratenkauderwelsch zu kämpfen). Schlimmstenfalls kann man auch unter Papierbergen ersticken. Es ginge auch ganz anders. „Wir müssen die Mehrwerte von Bio-Produkten aufzeigen“ sagt Matthias Sinn, Head of Omnichannel Category Development bei der REWE, und ergänzt: „Es braucht Aufklärung. Es braucht Diskurs.“ Großartige Idee – es hapert nur an der Umsetzung. In den Märkten zumindest sieht und hört man davon wenig. Was für ein Fortschritt wäre das, wenn Verbrauchern in den Märkten der Big Four* des Lebensmittelhandels Food-Coaches – oder Ernährungsberater oder wie auch immer man sie nennen würde – hilfreich zur Seite stehen würden. Ausgebildete Fachkräfte, die rund um Lebensmittel und Ernährung informieren und aufklären könnten den Kunden sicher diverse Siegel und Label und vielleicht sogar mal ein Gesetz ersparen.
Friedhelm Mühleib