Es war Ende der 1960er Jahre, als die Deutschen fett, bewegungsfaul und infarktanfällig wurden: Deutschland war zur Wohlstandsgesellschaft mutiert, in der vielen bald klar wurde: Das kann so nicht ewig weitergehen! Während CDU-Kanzler Ludwig Erhardt die Bürger zum „Maß halten“ aufrief, formierte sich an der Basis eine beispiellose Fitness-Bewegung. 1970 fiel der Startschuss für die erste „Trim-Dich-fit“ -Kampagne, die Deutschland über 20 Jahre hinweg wortwörtlich in Bewegung hielt. Parallel zu dem Ziel „mehr Bewegung“ ging es von Anfang an auch um weniger Gewicht. Devise: „Essen und Trimmen – beides muss stimmen“
Auch wenn das Motto altbacken klingt (.. Influencer würden sich eher nicht darauf stürzen), trifft es inhaltlich den Nagel noch immer auf den Kopf. Was leider nichts daran ändert, dass vor allem bei Kindern und Jugendlichen das Interesse an Ernährung und Bewegung deutlich nachgelassen hat. Die Fakten sind ernüchternd: Nach den Ergebnissen einer gerade veröffentlichten Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) bewegten sich Kinder und Jugendliche in Deutschland und Europa bereits vor der Pandemie weniger als die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen 60 Minuten am Tag. Während der Pandemie sank die Aktivität im europäischen Durchschnitt um weitere zwölf Minuten. „Für Deutschland sehen wir einen Rückgang um etwa ein Viertel im Vergleich zu vor der Pandemie“, erläutert Mitautor Prof. Dr. Martin Bujard.
Fatal: Mehr Gewicht – weniger Bewegung
Parallel dazu steigt die Zahl der übergewichtigen und adipösen Kinder und Jugendlichen seit Jahren – zum Glück sehr langsam – es sind aber trotzdem zu viele. Das ist auch der Politik bewusst, und soll sich in Zukunft nach dem Willen der brandneuen Ernährungsstrategie der Bundesregierung ändern. Dort heißt es: „Die Gestaltung gesundheitsförderlicher Rahmenbedingungen, bei denen Ernährung und Bewegung … zusammen betrachtet werden, bietet ein hohes Potenzial, um das Erkrankungsrisiko zu senken. Dies gilt besonders auch im Kindes- und Jugendalter: Ausgewogene Ernährung und ausreichend Bewegung sind die Grundlagen für gesundes Aufwachsen und die Prägung eines gesunden Lebensstils sowie wichtige Elemente des kindlichen Wohlbefindens. Dabei soll ein systemischer Ansatz aus Verhaltens- und Verhältnisprävention die Themen Ernährung und Bewegung verbinden und auch die Auswirkungen auf Umwelt und Klima berücksichtigen.“
Folgerichtig wird in der Strategie gefordert: „Ernährung und Bewegung gemeinsam denken.“ Hört sich gut an, hat aber einen Haken. Um den Kids Beine zu machen, wäre auch im politischen Raum mehr Bewegung nötig. Stattdessen soll zunächst viel palavert werden: Starten will man am (schon bestehenden) Runden Tisch „Bewegung und Gesundheit“, in dem die „relevanten Akteure aus Bund, Ländern, Kommunen, Verbänden und weiteren Interessensgruppen“ zusammengebracht werden. Ziel dieser illustren Versammlung verschiedenster Interessen soll sein, sich zu verständigen, wie Bewegung und ein aktiver Lebensstil bei allen Menschen in Deutschland gestärkt werden kann.“ Das kann ja dauern! Wenn’s denn irgendwann mal so weit ist, sollen „die Ergebnisse und Empfehlungen des Runden Tisches dazu beitragen, politische Entscheidungen und Aktivitäten zur Förderung von Bewegung und Gesundheit voranzutreiben. Zentrale Handlungsfelder sollen die Ertüchtigung von Sportstätten, Nachhaltigkeit, Integration, Inklusion, Sport in Schulen und Kinderbetreuung sowie die Stärkung des Ehrenamtes sein. Da fehlt ja echt nur noch der identitäre Apekt.
Mehr Bewegung in die Pläne bringen!
Warum dieser Pessimismus? Horst Seehofer, damals CSU-Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, erkannte den Ernst der Lage und brachte 2007 den Nationalen Aktionsplan Ernährung und Bewegung an den Start: “IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten“ sollte es richten. Ernährung und Bewegung sollten als Einheit, als gleichwertige und entscheidende Bausteine eines gesunden Lebens aufgegriffen werden. Eine wichtige Rolle dabei sollte peb – die Plattform Ernährung und Bewegung spielen. Gute Idee – leider gescheitert. Es gibt die Plattform zwar noch – leider führt sie nur noch ein Schattendasein. Insgesamt kann man die Ergebnisse von IN FORM, peb und Co. Gemessen an den vollmundigen Ankündigungen der Gründungszeit nur als dürftig bezeichnen – daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Bundeskabinett 2021 – weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit – das Weiterleben des scheintoten Patienten “IN FORM” beschlossen hat.
Was stattdessen nötig wäre: Die Pläne vom Kopf auf die Füße stellen. Zügig starten, und Bewegung in die Sache bringen (wie es übrigens dereinst die Idee von peb war!) – ohne das Thema mit „Bund, Ländern und Kommunen“ zu zerreden, ohne Berge von geduldigem Papier und ein Dutzend neuer Studien zu produzieren. So ist das nämlich vor 50 Jahren gelaufen: Damals hat es der Deutsche Sportbund geschafft, ohne die Unterstützung von Politik und Wissenschaft – mit einer mutigen Idee und einer kreativen Kampagne eine breite Öffentlichkeit zu begeistern und so eine soziale Bewegung zu entfachen. Mit „Trimm Dich!“ wurde breiten Bevölkerungsschichten die Notwendigkeit von Bewegung und – ein paar Jahre später – vernünftiger Ernährung vermittelt. Wenn Essen und Trimmen endlich wieder stimmen soll, wäre das ein guter Weg.
Dr. Friedhelm Mühleib