Adipositas rückt als Risikofaktor bei Corona immer mehr in den Fokus: Männlich, alt und adipös: derzeit wird immer deutlicher, dass diese drei Eigenschaften die größten Risikofaktoren für schwere Verlaufsformen und tödliche Fälle bei Corona sind. Während die frühen chinesischen Studien – meist noch mit kleineren Fallzahlen – den Parameter krankhaftes Übergewicht noch gar nicht im Fokus hatten, zeigen nun erste große Studien mit Fallzahlen, die an Evidenz denken lassen, dass Adipositas ein entscheidender Faktor ist. Im Corona-Podcast der Ärztezeitung stellt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) Prof. Martin Scherer die Ergebnisse von drei brandaktuellen Studien vor: Neben einer großen prospektiven Kohortenstudie aus Großbritannien mit mehr als 20.000 stationär behandelten COVID-19-Patienten bespricht er zwei Kohortenstudien aus den USA, eine davon aus Kalifornien und eine aus New York City mit zusammen fast 8.000 COVID-19-Patienten. In allen drei Studien gehörte die Adipositas zu den drei wichtigsten Risikofaktoren.
Wenn zwei Pandemien aufeinandertreffen und eine davon die Folgen der anderen verschlimmert, kann das Ergebnis nur eine Katastrophe sein. Auch wenn das viele bis heute nicht wahrhaben wollen – Adipositas ist schon lange zu einer weltweiten Pandemie geworden. Der feine Unterschied zu Corona: Die Adipositas-Toten hat noch nie jemand wirklich gezählt. Demnächst wir immer klarer werden – spätestens, wenn noch weitere Studien das derzeitige Bild bestätigen: Die Kombination aus Adipositas und Corona ist ein echter Killer. Da uns Corona nicht verlassen wird, dürfte sich die jahrzehntelange weltweite Verharmlosung von Adipositas als hinzunehmende Nebenwirkung der Wohlstandsgesellschaft bitter rächen. An den Versäumnissen der Vergangenheit lässt sich nichts ändern. Klar muss nun allerdings sein: Adipositas ist eine Krankheit und muss als solche anerkannt, behandelt und bekämpft werden ( ..tatsächlich ist Adipositas aus der Perspektive unseres Gesundheitssystems nicht als Krankheit anerkannt). Jetzt – und keinen Moment später – ist die Politik zum Handeln aufgerufen. Politiker, die jetzt nichts tun, um die Adipositas zu bekämpfen, handeln mindestens genauso verantwortungslos wie jene, die am liebsten schon morgen sämtliche Corona-Maßnahmen aufheben wollen. Dabei sollten Politik und Entscheider daran denken: Selbst wenn nun sofort etwas unternommen würde, müssen alle wissen, dass – so traurig es ist – käme die Hilfe für ganz viele schon zu spät.
Quellen:
o Docherty Annemarie B, et al. Features of 20 133 UK patients in hospital with covid-19 using the ISARIC WHO Clinical Characterisation Protocol: prospective observational cohort study BMJ 2020; 369: m1985. https://doi.org/10.1136/bmj.m1985
o Lewnard Joseph A, et al. Incidence, clinical outcomes, and transmission dynamics of severe coronavirus disease 2019 in California and Washington: prospective cohort study BMJ 2020; 369: m1923. https://doi.org/10.1136/bmj.m1923
o Petrilli Christopher M, et al. Factors associated with hospital admission and critical illness among 5279 people with coronavirus disease 2019 in New York City: prospective cohort study BMJ 2020; 369: m1966. https://doi.org/10.1136/bmj.m1966
Danke für diesen Post, der uns alle aufrütteln sollte…Und wie Frau Morlo hoffe ich noch auf Wunder, glaube aber auch an die Kraft mit Berufskollegen gemeinsam etwas bewirken zu können.
Es gibt mittlerweile unzählige Studien, die uns quasi “in die Hände spielen”. Adipositas ist dabei ein ganz zentrales Thema. Doch während man im Ausland bereits darüber diskutiert, ist hierzulande Stille zu “hören”.
Nach wie vor wird trotz ICD 10 und trotz ernährungstherapeutische Beratung als Pflichtleistung der Krankenkassen in der Schweiz (10 Beratungen und Aussicht auf weitere 10 bei Folgeantrag werden übernommen!), passiert hierzulande einfach – NICHTS, weder politisch, noch berufspolitisch, noch medizinisch auf Kongressen, noch in der breiten Bevölkerung. Das einzige was geschieht: a.) Patienten wird suggeriert sie seien “selbst schuld”, weil sie “das falsche essen” b.) es wird behauptet, dass das einzige “Heilmittel” die bariatrische Intervention sei und c.) dass wenn Patienten zu uns kommen, 1 Erst- und 4 Folgeberatung ein für allemal genügen müssten, denn danach ist für 12 Monate VERBOT weitere Maßnahmen zu besuchen – sprich: Ein politischer Garant für VERSAGEN.
Da fragt man sich schon: Wer profitiert hierzulande davon, dass das Thema Adipositas und ganzheitliche AdipositasBEHANDLUNG im Sinne ernährungstherapeutischer Beratung und Begleitung systematisch unter den Teppich gekehrt wird.
Wir sollten die Corona-Krise dazu benutzen, jetzt mit diesen Themen an die Öffentlichkeit zu gehen, uns sichtbarer zu machen. Im Corona Round-Table am 16.6. wollen wir übrigens mit ein paar geladenen Gästen “Corona & Nutrition” aus verschiedenen Blickwinkeln diskutieren und ein paar Ideen mit Kollegen teilen, uns austauschen, wie wir uns mit unseren vielfältigen Dienstleistungen JETZT sichtbarer machen können, und wie und wo wir noch mehr zum Patientenwohl beitragen können.
https://profeat-akademie.de/round-table-zur-aktuellen-situation?et_fb=1&PageSpeed=off
Je MEHR Kollegen begreifen, dass JETZT eine Chance ist auf wichtige Themen hinzuweisen, desto besser.
Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD, englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) ist das wichtigste, weltweit anerkannte Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Hier gibt es mehrere Bezeichnungen für eine Adipositas. E66.0 steht für „Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr“, E66.1 für eine „Arzneimittelinduzierte Adipositas“, E66.2 für „Übermäßige Adipositas mit alveolärer Hypoventilation“, E66.8 für „Sonstige Adipositas“ und E 66.9 für eine „Adipositas, nicht näher bezeichnet“. Für mich ist das eine echte Anerkennung der Adipositas als Krankheit. Das Behandeln und Bekämpfen der Krankheit „Adipositas“ ist jedoch nicht geregelt. Kann sich das ändern? Nach meiner Meinung nur dann, wenn wir Fachkräfte die Dokumentation und Evaluation ernst nehmen und – der weit schwierigere Teil – wenn die Politiker bereit sind, für die Behandlung Geld zur Verfügung zu stellen. Ich habe keine Erwartungen, freue mich aber über Wunder.