Auch Arztkittel schützen vor Torheit nicht: Mit der Forderung nach der Erhebung einer Zuckersteuer und Umsetzung weiterer gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz vor Übergewicht und Fehlernährung hat der Deutsche Ärztetag, der am 12. Mai in Erfurt zu Ende ging, einer Kampagne den Ritterschlag erteilt, die unter der Wortführerschaft der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) vorangetrieben wird.  Im Mittelpunkt steht die Forderung nach mehr Verhältnisprävention: Der Staat soll’s richten – mit Steuern und Gesetzen.  Von mehr und besserer Ernährungsberatung durch die Ärzte, von der Notwendigkeit, mehr Ernährungsmediziner auszubilden und mehr qualifizierte Ernährungstherapeuten einzubeziehen, scheint in Erfurt nicht die Rede gewesen zu sein.  Besteuern statt behandeln – ob das der richtige Weg ist?

 

Dabei ließen sich die Mediziner von der Vermutung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiten, eine 20-prozentige Preiserhöhung auf zuckerhaltige Getränke könne zu einer 20-prozentigen Konsumreduktion führen. Offenbar scheint niemand danach zu fragen, ob ein Verbrauchsrückgang bei den besteuerten Lebensmitteln auch zu einer Gewichtsabnahme bei den Betroffenen führt. Dass bisher für kein Beispiele von Steuern auf zuckerhaltige Lebensmittel und Getränke in anderen Ländern ein signifikanter Rückgang von Übergewicht und Adipositas in der Bevölkerung wissenschaftlich belegt ist, interessiert offenbar weder die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) als Hauptinitiator der Zuckersteuer-Kampagne noch die Teilnehmer des Ärztetages. Ganz abgesehen von der fragwürdigen Bevormundung bzw. Manipulation der Verbraucher durch Verbrauchssteuern, scheint zudem niemand die Gefahr zu sehen, dass aus dem Thema ein Fass ohne Boden werden könnte. Wer dem Ruf nach der Zuckersteuer nachgibt, sieht sich vermutlich schon bald mit der Forderung nach einer Fleischsteuer, Fettsteuer, Salzsteuer, eine Steuer auf Getreideprodukte (zum Schutz von gefühlt zwei bis drei Millionen Bürgern mit Glutensensitivität und Weizenunverträglichkeit), auf Lebensmittel aus bestimmten Haltungs- und/ oder Anbauformen konfrontiert. Schon sieht man die Orthopäden mit der Forderung nach einer Sitzsteuer für PKWs auf dem Plan – schließlich kann langes tägliches Sitzen im Auto erwiesenermaßen zu gravierenden Schäden an der Wirbelsäule führen. Dem Einfallsreichtum für weitere Steuerforderungen wären keine Grenzen gesetzt. Was den Speiseplan des Normalbürgers betrifft, könnte gerade bei den weniger wohlhabenden Menschen Schmalhans bald Küchenmeister werden, denn die Auswahl an bezahlbaren Lebensmitteln könnte dramatisch schrumpfen.

Vielleicht sollte die Ärzteschaft anstatt  der Politik Steuertipps zu geben doch besser nach medizinischen Lösungen für Übergewicht und Fehlernährung suchen – denn schließlich hat sie auf diesem Feld in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend versagt hat. Im Übrigen hört sich die Forderung nach Steuern auch ein Stück weit nach Kapitulation an: Weil die Medizin bis heute keine funktionierenden therapeutischen Ansätze zur Kontrolle von Übergewicht und Adipositas gefunden hat, soll’s jetzt die Politik richten?  Vielleicht sollten sich die Ärzte bei der Suche nach Lösungen mit den qualifizierten Ernährungstherapeuten zusammenzutun. Solange diese allerdings von einigen Ärzten immer noch als „paramedizinisches Assistenzpersonal“ bezeichnet werden und solange selbst Fachärzte für Ernährungsmedizin innerhalb des Imperiums der Medizin eher als Außenseiter belächelt werden, dürften zwei wichtige Voraussetzungen für Problemlösungen fehlen: Die Erkenntnis, dass diesseits von Steuern und Gesetzen echter medizinischer und ernährungstherapeutischer Handlungsbedarf besteht und die Bereitschaft, mehr dafür zu tun.