Die Verwirrung ist oft groß, wenn es um Themen der Ernährung geht. Sogar honorige Professoren sind da nicht vor Irrungen und Wirrungen gefeit. In einem fast schon verzweifelten Aufruf titelt heute die WELT: „Deutsche, esst mehr Gemüse“ und bezieht sich dabei auf einen aktuellen Gesundheitsreport der OECD und der Europäischen Kommission, nach dem die Deutschen zusammen mit Holländern und Rumänen die Schlusslichter beim Gemüseverzehr in Europa sind. Dazu gibt es ein erhellendes Interview mit dem renommierten Ernährungsmediziner Prof. Andreas Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DiFE). Der klärt den Leser unter anderem darüber auf, dass „bei fast allen Gemüsen die Energiedichte gering ist. Eine Ausnahme bilden die stärkehaltigen Gemüse wie Kartoffeln, Reis oder Mais.“ Er bleibt dabei, dass Mais und Reis zum Gemüse gehören: „Tatsächlich ist es so, dass die Leute zu viel Stärke essen, ob als stärkehaltiges Gemüse wie Kartoffeln, Mais oder Reis, oder in Form von Nudeln und Brot.“ Arme Ernährungswissenschaft – wenn schon unsere Besten nicht mehr zwischen Getreide und Gemüse unterscheiden können, steht es schlecht um Dich.
Und was ist mit der Tomate? Auch da ist sich Pfeiffer nicht ganz sicher, ob die nun Obst oder Gemüse ist: „Auf jeden Fall unterscheidet sich die Tomate von klassischen Obstsorten dadurch, dass sie keine Fructose, aber sehr gute pflanzliche Inhaltsstoffe enthält.“ Ist eh alles Jacke wie Hose. Gemüse ist schließlich auch nur Obst in Grün. Und was so schön rot wie eine Tomate ist, muss doch Obst sein. Reis und Gemüse sind gehupft wie gesprungen. Kartoffeln und Gemüse kommen eh auf dasselbe raus. Gegen Ende des Interviews lotet die Autorin kritisch die Tiefen des Themas aus mit einer Frage, die von Karl Valentin stammen könnte: „Sind Pommes also Gemüse – wenn sie in Rapsöl frittiert werden?“ Tja, wenn das mal so einfach zu beantworten wäre! Ein Spitzenforscher gibt sich eigentlich mit solchen Kleinigkeiten nicht ab. Schließlich lassen Pfeiffers Kernaussagen solche marginalen Ungenauigkeiten vergessen: „Tiefgefrorener Brokkoli schmeckt meiner Meinung nach fürchterlich.“ Ein Satz, dem ich uneingeschränkt zustimmen kann – ganz egal, ob Brokkoli nun Gemüse, Obst oder Getreide ist!
Herrlich! Das hat ja in etwa die Qualität von Präsidentschaftskandidatenstatements wie “Belgien ist eine schöne Stadt” 😉
Zum Welt-Artikel: Schuster bleib’ bei deinen Leisten – auch wenn du Professor bist. Lebensmittelkunde ist halt eine Wissenschaft für sich – aber über Ernährung kann ja (angeblich) jeder mitreden.
Kleine Ergänzung: Danke Herr Mühleib für Ihren dazu verfassten, herrlich ironisch-bissigen Artikel 🙂 Das ist eine wunderbare Weise mit so einem Interview umzugehen….
Es ist schon unglaublich, wie sich “Experten” durch ein einziges Interview vollkommen lächerlich machen können und zunichte machen, was wir Ernährungstherapeuten mühsam in vielen Jahren versuchten! Menschen aus der Verunsicherung zu holen, was diesen ganzen Irrsinn rund um “gesunde Ernährung” betrifft!
Und was ich besonders interessant finde: Erst macht man voll auf “Wissenschaft” und versucht das Rad neu zu erfinden – kommt von Lebensmitteln, doch wieder auf die Nährstoffebene, um gleich danach von der “Portion HAND” zu schwafeln. Dieses “Modell” (und es ist ein MODELL, denn ich habe es entwickelt, GEMEINSAM mit meinen Patienten, und nicht mit einem Ernährungswissenschaftler (!) aus dem Mund eines Forschers setzt der Peinlichkeit ein besonderes Krönchen auf …Manchmal wäre Schweigen einfach die bessere Alternative, als den Mund aufzumachen wo es um PRAXISTRANSFER und Ernährungs-Kommunikation geht….
Kein Wunder reißt heute jeder Laie den Mund auf, um sein gefährliches Halbwissen über gesunde Ernährung in die Welt zu posaunen….
Bekommt die Wissenschafts-Szene eigentlich Geld dafür, dass “Ernährungsexperten” die Menschen immer mehr verwirren? Kriegt man dadurch mehr Forschungsgelder?
Herrlich! 🙂
So komisch der Satz auch ist – ich werde ihn gerne zitieren als Premiere dafür, dass einer von unseren “Besten” öffentlich eingesteht: die Menschen essen (beim heutigen muskelfaulen Lebensstil) zu viel Stärke!