Was macht Slow Food eigentlich falsch? Voller Stolz verkündet der Verein für lebendige und nachhaltige Kultur des Essens und Trinkens in seiner heutigen Pressemeldung den Beitritt des 14.000sten Slow-Food-Mitglieds in Deutschland: „Slow Food Deutschland ist mit 85 Convivien und 14.000 Mitgliedern nach Italien das Land mit der höchsten Mitgliederzahl innerhalb des internationalen Slow-Food-Netzwerkes.“ Das ist schön. Aber es ist auch traurig. Denn 14.000 Mitglieder sind nichts. Das sind genauso viele Menschen, wie der FSV Mainz 05 Mitglieder hat (Stand vom 01. November). Das sind weniger, als Zülpich Einwohner hat.
Slow Food tritt für die biologische Vielfalt ein, fördert eine nachhaltige, umweltfreundliche Lebensmittelproduktion, betreibt Geschmacksbildung und bringt Erzeuger von handwerklich hergestellten Lebensmitteln auf Veranstaltungen und durch Initiativen mit Ko-Produzenten (Verbrauchern) zusammen. Alles wichtige Dinge. Alles Themen, die Öko-Bewegte, Biokost-Käufer, fünf Millionen Vegetarier, Nachhaltigkeitsfreunde brennend interessieren sollten. Wieso also hat ein Verein mit so wichtigen Themen und Zielen, ein Verein, der mit seinen guten Ideen und Taten landauf landab zudem ständig in den Medien ist, wieso hat der nicht mehr als eine Handvoll Mitglieder? Wer erklärt mir das?
Spannende Frage, die mich als Slowfood-Mitglied,Oecotrophologin, politisch Aktive und Genießerin auch umtreibt. Ich hab mal gesammelt, woher die geringe Mitgliederzahl (ist ja nicht dasselbe wie Bekanntheit!) kommen kann. Hier unsortiert und ohne Anspruch auf Vollständigkeit
5 mögliche Gründe, warum Slow Food so wenig Mitglieder hat:
1. die Durchschnittsdeutschen haben keine Zeit und keine Lust, sich intensiver mit Essen zu beschäftigen. “Der Hunger treibts rein” und “Hauptsache viel und billig”. Im Supermarkt beim Ei zu Bodenhaltung zu greifen, geht so gerade noch. Auf den Markt geht man eher als Freizeitbeschäftigung, beim Hofladen vorbeizufahren erfordert Planung. Bei langen Arbeitstagen und hohen Alltagsanforderungen ist das den meisten einfach zu viel.
2. diejenigen, die sich für gutes, sauberes, faires Essen interessieren, sind auch an so vielen anderen Stellen aktiv (besonders, an denen man gegen etwas sein muss: gegen Tierfabriken, gegen multinationale Konzerne usw.), dass für den positiven Gegenentwurf auf dem Teller keine Energie mehr da ist.
3. diejenigen, die sich beruflich mit Ernährung beschäftigen, schauen auf Nährstoffe und auf Studien anstatt auf Nahrungsmittelhandwerk und auf Geschmack. Hilfe, gesättigte Fettsäuren! Das passt einfach nicht zu einem marmorierten Schnitzel vom Bentheimer Schwein.
4. für viele politische Food-Aktivisten ist der Ansatz reaktionär, regionale Gerichte und Esstraditionen zu fördern. Im Winter Rotkohl und Schmorfleisch statt veganer Pizza oder Chiapudding? Da is(s)t man schon fast in der braunen Ecke.
5. Gutes Essen kostet Geld. Und wenn es danan noch zu einem leckeren Menü verarbeitet wird und im Restaurant im schönen Ambiente serviert wird, kommen schnell mal Menüpreise von 35-40€ zusammen. Egal wie berechtigt das ist: das ist Elite-Essen und hat mit einem normalen Ess-Alltag nichts zu tun. Wenn dann Slowfood-Treffen regelmäßig in solchen Restaurants stattfinden, schürt das natürlich den Ruf der “Edelfresser-Bande”.
So weit, so schlecht. Noch spannender als die Frage nach dem Warum finde ich die, wie sich das ändern lässt. Letztendlich kommen wir nicht darum herum, die hervorragende Arbeit vor Ort, die ich z.B. in meiner Heimatregion Hannover erlebe (richtig gutes Veranstaltungsprogramm mit Hof- und Betriebsführungen, Aufbau einer regionalen Vermarktungsstruktur, Zusammenarbeit mit DGE, Landwirtschaftsministerium) zu erweitern durch bildungs- und agrarpolitische Aktionen. Der lange, mühsame Weg eben. Für weitere Ideen bin ich dankbar und offen!
Vielleicht ich. Seit einigen Jahren arbeite ich bei besonderen Aktionen mit den Braunschweiger Slowfoodern zusammen. Und die sind über die Maßen Social Media-scheu. Die meisten Mitglieder hier sind vom Alter her eher digital learners (wenn überhaupt).