‚Menschenstopfleber‘ – ich gestehe: der leicht martialische Titel des neuen Buches von Nicolai Worm hat bei mir zunächst ein gewisses Stirnrunzeln ausgelöst. Von der Lektüre hat mich das dann doch nicht abgehalten – zum Glück. Die zentrale These des Buches: Bei ca. 70% der Übergewichtigen und zudem bei ca. 15% der Schlanken ist die Leber „gestopft“ wie bei einer Gans. Sie leiden an einer nichtalkoholischen Fettleber, die in vielen Fällen nicht erkannt, verharmlost, nicht behandelt und dadurch zu einer der wesentlichen Ursachen für Diabetes, Herz- und Hirninfarkt wird. Dabei gibt es gegen die Fettleber ein einfaches Rezept: Abnehmen, am besten Fasten. In vielen Fällen ließe sich damit, so der Ernährungswissenschaftler Worm, auch ein bestehender Diabetes therapieren. Wenn Worm Recht hat und zudem noch gehört würde, wäre das der Ansatz für eine Revolution in der Diabetestherapie. Die Chancen dafür stehen leider schlecht, denn beim Fasten gibt es für Ärzte kaum und für die Pharmaindustrie so gut wie gar nichts zu verdienen.
Dass dieses Buch für mich das wichtigste dieses Jahres ist, hängt allerdings nicht nur mit den Fakten zusammen, die Worm erklärt, sondern auch mit einer ganz persönlichen Geschichte. Vor etwa zehn Jahren erhielt ein guter Freund, Anfang 50, leicht übergewichtig, bis dahin scheinbar kerngesund und lebensfroh, die Diagnose Diabetes, metabolisches Syndrom und Fettleber festgestellt. Weitere zehn Jahre zurück hatte schon mal ein anderer Mediziner eine „Fettleber im Anfangsstadium“ diagnostiziert, nachdem eine Blutuntersuchung zuvor erhöhte Transaminasewerte ausgewiesen hatte. Heute würde man spezifizieren: Nichtalkoholische, kohlenhydratinudzierte Fettleber – denn mein Freund war allem Süßen zugetan, trank aber nur gelegentlich ein gutes Gläschen. „So eine leichte Fettleber ist reversibel“ meinte der Arzt damals wohl und empfahl ein bisschen Abnehmen und weniger Süßes. Das hat mein Freund auf die leichte Schulter genommen und kaum noch einen Gedanken an seine Fettleber verschwendet. Das hätte er allerdings wohl besser getan. Auch zehn Jahre später, nach der Diabetes-Diagnose hat er es nicht geschafft, den Stress in seinem anstrengenden Job zu reduzieren und seinen Lebensstil zu ändern – wie auch immer, vor vier Jahren erlag er auf einer dienstlichen Auslandsreise fernab von einem Krankenhaus einem Herzinfarkt.
Und was hatte nun sein früher Tod mit seiner Fettleber zu tun? Das hat mir Worms Buch eindringlich und überzeugend klar gemacht. Worm stellt die Details des Leberstoffwechsels und seiner möglichen Entgleisungen in Verbindung mit der Entwicklung eines Diabetes mit detailliert, genau, mit vielen Literaturbelegen und trotzdem verständlich dar. Ohne darauf hier im Einzelnen einzugehen, hier nochmals etwas ausführlicher die Grundgedanken des Buches:
Die ‚schlechte‘ Nachricht: Etwa 70 Prozent der erwachsenen Übergewichtigen haben eine Fettleber. Bei übergewichtigen Kindern sind es schon 30 Prozent. Und 70 bis 90 Prozent der Diabetiker haben eine Fettleber – aber kaum jemand weiß davon. Ursache für die Verfettung der Leber ist in den meisten Fällen nicht der Alkohol, sondern ein zu hoher Kohlenhydrat-Konsum. Dabei ist die nicht-alkoholische Fettleber nicht nur ein erhebliches Risiko für Herz und Gefäße, sondern vor allem auch für die Entstehung von Diabetes: Sie steigert das Diabetesrisiko noch deutlicher als ein metabolisches Syndrom. Je mehr die Leber verfettet, desto mehr werden ihre normalen Funktionen beeinträchtigt. Das viele Fett, das sie wieder ans Blut abgibt, verfettet nun die Bauchspeicheldrüse. Wenn dort die Insulinproduktion nachlässt oder zum Erliegen kommt und der Blutzucker den Wert von 126 Milligramm pro Deziliter Blut überschreitet, diagnostiziert der Arzt Diabetes.
Die gute Nachricht: Die Leber lässt sich tatsächlich in den meisten Fällen so weit entfetten, dass sich ihre Funktionen schrittweise normalisieren. Nach bariatrischen Operationen (zur Reduktion von Übergewicht) bildet sich ein Diabetes durch eine zunächst sehr knappe Kalorienzufuhr rasch zurückbildet. Bereits sieben Tage mit zirka 800 Kilokalorien pro Tag genügen, um den Nüchternblutzucker zu normalisieren. Ursache hierfür ist eindeutig die rasche Entfettung der Leber, die den morgendlichen Blutzuckerspiegel maßgeblich steuert. Eine kurze Fastenperiode mit knapper Kalorienzufuhr hilft der Leber genauso gut beim Fettabbau. Dabei normalisiert sich der Zuckerstoffwechsel binnen weniger Wochen. Hierzu entwickelt Worm ein „Leberfasten“-Konzept mit dem sich der der Nüchtern-Blutzucker bei vielen Diabetikern nach wenigen Tagen – so Worm – wieder in Ordnung bringen lässt. Bereits nach zwei Wochen sollen die Betroffenen gar keine oder deutlich weniger Medikamente brauchen als zuvor. So könnte das „Leberfasten“ eine echte Alternative zur Magen-OP sein, insbesondere für Menschen mit Diabetes und seinen Vorstufen.
Wer so angepiekst reagiert hat wohl eine Antwort verdient. 🙂 Sicher, im Buch ist keine Produktwerbung, aber die Internetseite mit der Vermittlung von Beratern spricht ja Bände. Wie finanziert sich denn so Beratung, auch in den “zertifizierten Lebenfastenzentren”? Ernährungsberatung gekoppelt mit Produktverkauf gehören halt getrennt. Punkt – aus.
Produktempfehlung sind selbstverständlich möglich und eben auch sinnvoll, wenn es für den Kunden/Patienten passt.
… ach ja, anonyme Fettgans, das Attribut “feige” hatte ich noch bei meiner Anrede vergessen…
:-))
Hallo du anonyme, klugscheißende Fettgans,
das “Leberfasten” ist eine Ärzte- und Ernährungstherapeuten-basierte Therapie bei entsprechender Indikation und nicht frei verkäuflich. Die Ernährungstherapeuten geben dabei keine Produkte an Patienten ab und verstoßen somit nicht gegen die Richtlinien der Berufsverbände. Was die “seriöse” Therapie bei Fettleber betrifft, so gibt es bis heute kein Medikament sondern nur Ernährungs- und Bewegungsmaßnahmen. Zur der benötigten stark kalorienreduzierten Diät haben Formula-Diäten die besten Ergebnisse über bis zu drei Jahren erzielt und sind entsprechend auch in den ganz neuen DAG-Leitlinien zur Adipositas-Therapie empfohlen.
Nicolai Worm
Mag ja sein, dass das Buch interessant ist. Aber Worm hat ja gleichzeitig sein Konzept “Leberfasten nach Dr. Worm” auf den Markt geworfen. Und das verstößt ganz eindeutig gegen die Vereinbarungen der einschlägigen Berufsverbände zur seriösen Ernährungsberatung. Was mich nur sehr wundert, dass Sie Herr Dr. Mühleib als Oeoctropologe UND als Redakteur der Verbandszeitschrift des entsprechenden Berufsverbandes hier keinerlei Hinweis geben. Völlig unkritisch ist Ihre Rezension diesbezüglich. Aber der Rubel muss ja rollen, egal ob durch Produktverkauf oder durch Clickraten im Blog 😉
@ Fettgans: Ich weiß nicht, ob Sie das Buch schon gelesen haben, denn dabei sollte Ihnen aufgefallen sein, dass keinerlei Produktwerbung betrieben oder gar eine Empfehlung ausgesprochen wird. Es wird lediglich ein Konzept in Anlehung an die wissenschaftlichen Ergebnisse – insbesondere aus der Studie von Lim & Taylor (2011) – vorgestellt. Ebenso wird daraufhingeweisen, dass es neben einer sehr niedrig kalorischen Diät (die nun mal am besten und einfachsten mit einer Formula-Diät zu bewerkstelligen ist) empfehlenswert ist, bestimmt leberrelavante Stoffe ebenso zuzuführen. Ob und was Sie davon annehmen wollen, bleibt ja jedem selbst überlassen. Aber bei der Wahrheit sollte man jedoch immer bleiben…
Ihhh, das war mein erster Gedanke, als ich die Überschrift gelesen habe. Und in einer Buchhandlung würde ich ein Buch mit solch einem reißerischen Titel wohl gar nicht in die Hand nehmen. Aber nach dieser Rezension werde ich vielleicht doch mal reinlesen …
Hallo Herr Mühleib,
vielen Dank für Ihr Interesse an der Materie und für die Vorstellung meines Buches!
@ Mausflaus
“Schlank” wird herkömmlich über den BMI definiert. Etwa 15 % der derart “Schlanken” hat aber einen “normal niedrigen” BMI, ist aber innerlich dennoch verfettet und ist “metabolisch übergewichtig” und hat einen Fettleber. Da die Leber bei einer drastischen Kalorieneinschränkung als erste entfettet, muss man nicht viel “abnehmen”. Diese Leute sollten natürlich eine sinnvolle Ernährung, das heißt niedrige glykämsicher Last, mehr Gemüse, Protein und Fett etc. einhalten und Kraftraining betreiben!
Frau Gonder, herzlichen Dank für das Zusammenbringen 🙂
Ich glaube, gerade prasseln so viel neue Ansätze, Empfehlungen, Theorien… auf uns ein, da muss fein säuberlich sortiert werden, was wie zusammenpasst.
Darauf ein paar Tassen Kaffee -> https://www.aerzteblatt.de/blog/55551
” Bei ca. 70% der Übergewichtigen und zudem bei ca. 15% der Schlanken ist die Leber „gestopft“ wie bei einer Gans.” (…)
“Dabei gibt es gegen die Fettleber ein einfaches Rezept: Abnehmen, am besten Fasten.”
wie passt das zusammen? wenn man schlank ist, kann es doch keine lösung sein, sich zum klappergestell runterzuhungern. sollte man sich da nicht einfach gesünder ernähren, also weniger KH und fett, sondern mehr ballaststoffe und eiweiß?
Ich bin gerade hin- und hergerissen.
Hafertage zubereiten musste ich während meiner Tätigkeit im Krankenhaus vor 30 Jahren immer wieder zubereiten. Das wurde dann aber abgeschafft.
Wenn ich mich an Prof. Peters orientiere, dann bedeutet jede Kalorienreduktion Stress für den Körper. Nach dem Konzept von Herrn Worm wird über 14 Tage lang aber sehr stark reduziert.
Ist es möglich, beide Theorien zusammen zu bringen, ist es überhaupt sinnvoll beides zusammen zu bringen? Handelt es sich um zwei verschiedene Paar Schuhe?
Freue mich über Erklärungen.
Hallo Frau Hagedorn, ich denke, das passt gut zusammen. Das Problem bei Prof. Peters schöner Hypothese (die ich in weiten Teilen auch für sehr plausibel und wichtig halte) ist meiner Meinung nach, dass er das Phänomen Insulinresistenz bzw. dessen Rückbildung nicht genug würdigt. Das ist m.E. der missing link.
Wie Peters dargelegt hat, genießt unser “egoistisches”, überlebenswichtiges Gehirn bei der Energieversorgung (sinnvollerweise) absoluten Vorrang. Den nötigen “Brennstoff” – meist Zucker – bekommt es aus dem Blut. Soweit so gut und bekannt. Neu an der von Peter entwickelten „Selfish-Brain“-Theorie (engl. selbstsüchtiges Gehirn) ist, dass der Zucker nicht passiv vom Blut ins Gehirn gelangt, sondern aktiv dorthin umgeleitet wird, selbst wenn dafür die anderen Organe vorübergehend zu kurz kommen.
Diese Vorrangstellung des Gehirns in der Energieversorgung verursacht normalerweise keine Probleme. Dick wird man nach Peter erst, wenn dieses Regelsystem gestört wird.
Bei einer NAFLD sind die meisten dick, und selbst bei den Schlanken ist ja die Leber verfettet. Das heißt, sie ist insulinresistent wie schon die Muskulatur und das Fettgewebe – und vermutlich auch das Gehirn. Insulinresistenz in diesem Stadium bedeutet eine enorme Störung im System. Man könnte sagen, der Körper beginnt, zu dekompensieren.
Wie kommt es zu Störungen der Energieverteilung? Für Prof. Peters stehen folgende zwei Punkte an erster Stelle: Fehlprogrammierungen und Falsch-Signale. Als Falsch-Signale bezeichnet er beispielsweise Drogen aber auch „moderne“ Lebensmittel, die künstlich gefärbt, gesüßt und aromatisiert wurden und die man meiden sollte.
Fehlprogrammierungen des Brennstoff-Ampelsystems werden nach Prof. Peters Verständnis vor allem davon bestimmt, wie wir gelernt haben, mit Stress und Problemen umzugehen. Wer Konflikte meidet oder sich einer stressigen Situation nicht gewachsen fühlt und nur gelernt hat, sich mit Süßem oder Bier zu trösten, programmiert sein System falsch. An die Stelle der Konfliktlösung tritt dann das Essen ohne hungrig zu sein (oder der Alkohol) als monotone Antwort auf jedes Problem. Aber auch so banale Dinge wie zu wenig Schlaf können den Zuckerstoffwechsel und die Hungerregulation stören und auf diese Weise dick machen. Was tun? Peters Ansatz ist, Belastungen aktiv angehen, lernen, sich Unterstützung und Trost zu organisieren, Veränderungen einzufordern oder zu veranlassen. Das sind unstrittig wichtige Aspekte und zudem bessere Antworten als immer nur Schokoriegel oder Rotweinexzesse. Auch Bewegung wird sehr empfohlen, aber nicht wegen der paar „verbrannten“ Kalorien, die sich der Körper später ohnehin wieder holt, sondern weil körperliche Aktivität Stresshormone abbaut und den Zuckerstoffwechsel wieder ins Lot bringt. Und hier ist der Knackpunkt: Der Zucker- (und der Fett-)Stoffwechsel müssen wieder ins Lot – und dafür ist es m. E. entscheidend (!), die Insulinresistenz zurückzudrängen. Die IR der Leber lässt sich nach Taylor/Worm durch kurzes Fasten recht schnell zurückbilden, und dann besteht auch wieder eine gute Chance, dass das eigentlich wunderbar selbstregulierende System des Körpers insgesamt wieder ins Lot kommt. So jedenfalls habe ich es verstanden ;-).
Auch ich habe das Buch “verschlungen”. Für vieles, was mir in der langjährigen Arbeit mit Diabetikern auffiel, finden sich in der “Menschenstopfleber” Erklärungen.
Ein kohlenhydratreduziertes Essen, angepasst auf den jeweiligen vegetativen Typ, hilft den meisten Diabetikern dabei, ihre Medikamente zu reduzieren oder gar abzusetzen. In schlimmen Fällen sind die Haferkleie-Tage nach Carl von Noorden eine Option. Für die “Süßen” mit Milch und – wenn es unbedingt sein muss – minimal gezuckert. Die “Deftigen” kochen die Kleie in Gemüsebrühe. In der Diabetologie geht man bisher davon aus, dass es die Kohlenhydrate des Hafers sind, die eine bestehende Insulinresistenz verbessern. Dazu klingt Worms Erklärung sehr viel logischer. Er macht für den positiven Effekt die Beta-Glucane des Hafers verantwortlich.
Eine andere Beobachtung hat mich lange umgetrieben: Erhöhte Leberwerte finden sich bei Diabetikern relativ selten, auch dann, wenn man bei hohen Triglyceriden und Bauch statt Taille eine Fettleber vermuten darf. Dazu fand ich Aufklärung bei Werner O. Richter: Fettleber ist anfangs nicht an erhöhten Leberwerten erkennbar. Wenn sie niedrig sind und sonst alles “passt”, lohnt es sich immer, mit dem einem geeigneten Essen dagegen zu steuern.
Zur Risikoeinschätzung bietet sich der Fatty Liver Index (FLI) an, der BMI mit Taillenumfang, Triglyceriden und dem GGT in Verbindung setzt. http://www.fegato.it/public/fli_calc.xls
Vielen Dank für die informative Rezension. Die Erfolge und Erfahrungen von einigen, die sich auf Leberfasten nach Dr. Worm eingelassen haben, kann man im LOGI-Forum unter https://forum.logi-methode.de/index.php?page=Board&boardID=42 verfolgen. Ich lese da auch mit großem Interesse mit.