Heute Morgen ruft mich eine befreundete Oecotrophologin an, die als selbstständige Ernährungstherapeutin tätig ist. Sie ist noch ganz perplex von einem gerade geführten Patientengespräch. Die übergewichtige Klientin mit einem Stoffwechselproblem eröffnet den Termin mit einem Frontalangriff: „Haben Sie den Ernährungscheck mit dem Mälzer gesehen? Da hat ein Professor gesagt, dass es egal für die Gesundheit egal ist, was man isst. Da frag ich mich, ob’s das mit Ihnen hier noch bringt.“
Das hat so keiner in der Sendung gesagt. Aber: Das bleibt hängen, wenn man solche Sendungen macht! Vielen Dank an Tim Mälzer und die ARD-Redaktion für diesen Schlag mit dem Vorschlaghammer ins Kontor von Ernährungserziehung und Ernährungsbildung. Wie vielen seriösen Ernährungsberatern und –therapeuten mag ähnliches wie der Kollegin jetzt und in den nächsten Wochen passieren? Wie viele Kids werden Fast Food futtern mit der Rechtfertigung: „Der Mälzer hat gesagt, wir dürfen das!“. Der einstige Kämpfer für mehr Ernährungserziehung ist zur Dampfwalze mutiert, die das zarte Pflänzchen der Ernährungs-Erkenntnis platt walzt.
Was von dieser Sendung bleibt, ist also die Botschaft: ‚Ich kann essen, was ich will, und wenn es täglich Fast Food ist – (.. nur zu viel darf es nicht sein). Dann ist alles in bester Butter.‘ Sollte dies tatsächlich das Resultat sein, haben Mälzer und Co. zur besten Sendezeit gefährliche Volksverdummung betrieben. Allerdings: auch die Naivität und Expertengläubigkeit vieler Menschen erschreckt. Da stellt sich einer hin und verkündet: „Ich hab da mal eben `ne wissenschaftliche Studie gemacht.“ Handelt es sich bei diesem jemand um eine halbwegs prominente Nase, schenkt man ihm sofort Glaubwürdigkeit: In kaum einem der vielen Internet- und Forenkommentare zur Sendung wird angezweifelt, dass Mälzers Aktion tatsächlich wissenschaftlichen Grundanforderungen entspricht. Tatsächlich entspricht sie diesen Grundanforderungen augenscheinlich nicht:
– Was Mälzer gemacht hat, war keine „wissenschaftliche Studie, sondern eine obskure Versuchsanordnung, ein merkwürdiges Experiment. Die Aktion hatte mit einer nach den Regeln wissenschaftlichen Arbeitens konzipierten Studie so viel zu tun so viel zu tun wie Analogkäse mit echtem Emmentaler. Was genau war die Hypothese? Was waren die Variablen? Von welchen Grundannahmen ging man aus? Und..und..und. Da wären Fragen über Fragen.
– Die Auswertung der Studie – soweit sich das auf dem Bildschirm nachvollziehen ließ war eine dreiste Verharmlosung! Die Steigerung des durchschnittlichen LDL in der Hausmannskost-Gruppe von 108 auf 121 mg/ dl z.B. entspricht einem Anstieg von 12% – und das gerade mal nach 2 Wochen. Das ist katastrophal! Hochgerechnet auf ein halbes Jahr würde sich das LDL bei gleichbleibendem Anstieg verdoppeln (…tut es zwar nicht, doch zeigen die 12% die Richtung an, in die es geht). Bei der Mittelmeergruppe sinkt das LDL in 2 Wochen immerhin um knapp 4%. Auch das ist bei einem relativ niedrigen Ausgangswert in so kurzer zeit beachtlich und bedeutet: Es gibt sie doch, die Verbesserung! Am Schluss der Auswertungs-Szene sagt die Stimme aus dem Off: „Beim schädlichen LDL-Choleserin tut sich also nichts medizinisch Relevantes.“ Da nehmen wir dem Zuschauer doch mal vorsorglich das Denken ab und versorgen ihn mit der Meinung, die er nach Ansicht der Redaktion haben soll. Das ist Meinungsmache, das ist gefährlich.
– Die Annahme, dass bei gesunden jungen Männern das Stoffwechsel-Gleichgewicht bereits durch eine 2-wöchige Kostumstellung aus dem Ruder läuft, ist – gelinde gesagt – Blödsinn. Oder, etwas feiner ausgedrückt: Unser Stoffwechsel hat enorme Pufferkapazitäten, die ein Fehlverhalten von 2 Wochen weitgehend abfedern. Bei der Entwicklung ernährungsabhängiger Erkrankungen geht es um ganz andere Dimensionen: Viele, die mit Anfang 50 an Diabetes erkranken, haben sich 25 Jahre lang falsch ernährt. Das macht dann allerdings der beste Puffer nicht mehr mit
– Eine offensichtlich zentrale Ausgangsfrage des Experiments ist abstrus. Sie lautete augenscheinlich: Kann man Gesunde gesünder machen? Das kann man genauso gut, wie man einen vollen Topf voller machen kann. Apropos „gesunde“ Testpersonen: In der Sendung zumindest fiel kein Wort darüber, wie man „gesunde Männer“ definiert. Falls man es definiert hat: Wieviele Deutsche sind so „gesund“. Auf wie viele über 40-jährige trifft das zu? Welch ein Aufwand für das sinnentleerte Ergebnis, dass man Gesunde durch gesundes Essen nicht gesünder machen kann. Dass die gesunden durch „ungesundes“ essen nicht kränker werden ist a) eine Fehlinterpretation der Ergebniss (siehe oben) und b) der merkwürdigen Versuchanordnung geschuldet.
– Hätte man Menschen mit grenzwertigen Stoffwechselwerten – also im Übergang von Gesundheit zu Krankheit untersucht, wären die Ergebnisse ganz anders ausgefallen. Das wussten Nawroth, Mälzer und die Redaktion – aber sie wollten das gar nicht zeigen. Rausgekommen wäre: Wer an der Grenze zur Krankheit steht, kann sich durch richtige oder falsche Ernährung sehr wohl nutzen oder schaden. Das ist durch viele Studien gut belegt – an diesem Ergebnis jedoch niemand ein Interesse.
– Und überhaupt, der Herr Professor. Was hat den Mann zu Aussagen getrieben, für die man sich als Ernährungswissenschaftler eigentlich fremdschämen muss? Einer von Nawroths Kommentaren zur Auswertung der Ergebnisse: „Die kleinen Unterschiede, die Sie hier sehen, sind Unterschiede, die sich durch die Tag-zuTag Variabilität erklären lassen und mit dem Essen eindeutig nichts zu tun haben“ Und womit haben sie dann etwas zu tun? Mit der aktuellen astrologischen Konstellation? Bei der grundsätzlichen Bewertung gesunder Ernährung sagt Nawroth: „Der Begriff gesundes Essen setzt voraus, dass man sich etwas nutzen könnte. Und das ist ohne jeden wissenschaftlichen Beleg.“ Das ist – so formuliert – schlichtweg falsch. Es gibt in Deutschland mehr kranke (besser: nicht ganz gesunde) Menschen als kerngesunde. Vielen von denen nutzt gesundes Essen. Studien, die das belegen, gibt es mehr als genug.
War das Ganze schließlich nur billige Quotenhascherei? Herzlichen Glückwunsch an die Herren Mälzer, und Nawroth und an die liebe ARD-Redaktion! Das hat ja prima funktioniert. Mit einem Marktanteil von 12% und 4,19 Millionen hatte der Ernährungscheck zwar nur halb so viele Zuschauer wie tags drauf die Wanderhure auf sat1- für eine Reportage war es jedoch ein sehr achtbares Ergebnis. Prostitution sells. Was schert uns der Bildungsauftrag, wenn es um die Quote geht – und der Gebührenzahler finanziert’s.