Gestern veröffentlichte die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS) das Jahrbuch Sucht 2013. Im Mittelpunkt des Berichts stehen die Gefahren durch den extrem hohen Alkoholkonsum. „Unterschätzt, verharmlost und außergewöhnlich schädlich“ – so beurteilen die Experten einhellig den Hang der Deutschen zum Alkohol.“
„Was wir brauchen, ist mehr Verbraucherbildung.“ – so habe ich gestern auf dem Tellerrand den Präsidenten des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels, Josef Sanktjohanser, zitiert. Angesichts des horrenden Alkoholkonsums der Deutschen, den das Jahrbuch bewußt macht, denkt man unwillkürlich an endlose Wein- und Spirituosenregale und an lange Reihen turmhoher Stapel von Bierkästen, die in jedem deutschen Supermarkt stehen. Hier könnte Sanktjohanser – und mit ihm der ganze Handel – den Worten Taten folgen lassen: Pro Markt ein Suchtberater je 100 qm Verkaufsfläche für Bier, Wein und Spirituosen – die Kosten umgelegt auf die Lieferanten. Zu diesem Vorschlag dürfte Sanktjohanser vermutlich umgehend einen anderen seiner Glaubenssätze zitieren: „Der Verbraucher ist souverän und trifft seine eigene Kaufentscheidung.“ Wie souverän entscheiden wohl die 10 Millionen erwachsenen Deutschen mit problematischem Alkoholkonsum, wenn sie vor einem Spritregal im Supermarkt stehen , darunter auch die schätzungsweise ca. 3 Millionen behandlungsbedürftigen Alkoholiker? Die Begründung von Sanktjohanser möchte ich zu gerne hören.
Als Hintergrund hier noch die Fakten: Die Deutschen trinken im Schnitt 9,6 Liter Reinalkohol jährlich. Das sind für jede/n ca. 325 Flaschen Bier (107,2 l), 27 Flaschen Wein (20,2 l), 5,5 Flaschen Schaumwein (4,1 l) und über 7 Flaschen Spirituosen (5,4 l). Die Menge entspricht dem Inhalt einer haushaltsüblichen Badewanne, randvoll gefüllt. Die wenigsten wissen: Schon Alkoholmengen, die von den meisten als gering betrachtet werden, können – regelmäßig konsumiert – die Organe schädigen, das Krebsrisiko steigern und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen. Neben dem menschlichen Leid verursacht Alkohol auch immense volkswirtschaftliche Kosten. In Deutschland belaufen sie sich auf 26,7 Mrd. Euro, in der EU sogar auf 270 Mrd. Euro. Diese Kosten umfassen nicht nur die unmittelbaren Behandlungskosten der alkoholbedingten Erkrankungen, sondern auch die wirtschaftlichen Verluste durch Fehlzeiten am Arbeitsplatz, Frühberentung und Arbeits- oder Erwerbsunfähigkeit.
Gleichzeitig führt die DHS effiziente Maßnahmen zur Bekämpfung des Alkoholproblems an: Effiziente Präventionsmaßnahmen wurden mit Förderung der Europäischen Kommission für 22 europäische Länder getestet und bewertet, auch für Deutschland. Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass ● Preisanhebungen durch Steuererhöhungen ● zeitliche Begrenzung des Verkaufs ● Promillekontrollen im Straßenverkehr ● eine effektive gesetzliche Regulierung der Werbung ● und Maßnahmen zur Früherkennung und Frühinterventionen in der Gesundheitsversorgung wirksame Präventionsmaßnahmen sind bei überschaubaren Kosten.
Was den Einzelhandel als Hauptumschlagplatz für alkoholhaltige Getränke betrifft, gäbe es noch eine Maßnahme, die darüber hinausgeht und dabei ganz sicher wirksam ist: Alkohol ganz raus aus unseren Supermärkten! Wie das gehen soll in einer freien Marktwirtschaft? Ganz einfach – so wie z.B. in Kanada! Wenn das kein marktliberales Vorbild ist!