Gestern gemeinsam im Interview in der WELT: Jürgen Abraham, Schinkenhersteller und Vorsitzender der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie (BVE), und Josef Sanktjohanser, ehemaliger REWE-Vorstand und Präsident des Deutschen Handelsverbandes (HDE) sprechen über die Lage der Lebensmittelwirtschaft. Abraham bezieht in dem Gespräch über Konsequenzen aus den jüngsten Skandalen viele nachvollziehbare Positionen, während Sanktjohanser den harten Händler gibt. Zum Ende des Gesprächs bläst Sanktjohanser besonders mächtig die Backen auf – mit einem Statement, in dem er sich selbstgefällig gegen jeden staatlichen Eingriff im Sinne künftiger Regulierung verwahrt und zudem einen Frontalangriff gegen die Intelligenz seiner Kunden startet:
Die Welt: Neue Regeln von außerhalb drohen in Zukunft bei der Zusammensetzung der Produkte. Die Politik hat den Kampf gegen Zucker und Fett auf der Agenda.
Sanktjohanser: Auch hier kann Regulierung keine Lösung sein. Es ist nicht Aufgabe des Staates, sich zum Gesundheits-Apostel aufzuschwingen und darüber zu entscheiden, was wir wie essen dürfen. Der Verbraucher ist souverän und trifft seine eigene Kaufentscheidung. Und wenn er zu Fertigprodukten greift, ist das auch nicht schlimm. Die werden angeboten, weil es die entsprechende Nachfrage dafür gibt. Ich sehe die Volksgesundheit nicht in Gefahr. Abgesehen davon ist die Ernährungswirtschaft nicht für alles verantwortlich. Was wir brauchen, ist mehr Verbraucherbildung.
Sanktjohansers Statement ist strategisch sehr gezielt platziert. Mit seiner Forderung nach mehr Verbraucherbildung schmeichelt er sich risikofrei bei den Verbraucherschützern ein – im sicheren Wissen, dass für echte, flächendeckeckende Verbraucherbildung nicht nur der politische Wille, sondern auch das Geld fehlt. Die Warnung vor staatlichen Regulierungsversuchen soll vor dem schützen, was dem Handel am meisten schaden kann. Man stelle sich vor, es käme tatsächlich zum Verbot einer ganzen Warengruppe – der Limonaden beispielsweise, wie von den Grünen bereits gefordert wird. Zuckerhaltige Erfrischungsgetränke sind Schnelldrehern mit Spitzen-Margen. An denen wird fettes Geld verdient. Die lässt der Handel niemals kampflos aus den Märkten ziehen.
Dabei dürfte der entgangene Umsatz deutlich mehr schmerzen als das Mitleid mit den Kunden auf Grund der von Sanktjohanser befürchteten Verletzung der Verbrauchersouveränität. Die zu zitieren, ist besonders dreist. Das kann man schließlich nicht anders verstehen als den plumpen Versuch, Verbraucher mit falschen Komplimenten als Verbündete im Kampf gegen Regulierungsversuche der Politik zu gewinnen. Wer, wenn nicht ein Händler, wüsste besser, dass der souveräne Verbraucher nicht mehr als eine Leiche im Keller der Verbraucherforschung ist. Auch der letzte Verbraucher ist heute schlau genug, nicht mehr an das Märchen von der Mündigkeit zu glauben. Zudem hat sich der Handel im Kampf um Umsatz und Erträge bisher jedenfalls nicht sonderlich um die Förderung der Souveränität des Verbrauchers geschert. Konzepte zur Information, Bildung und Beratung der Verbraucher durch den Handel fehlen in Handelsunternehmen entweder ganz – oder erfüllen eine imagefördernde Feigenblattfunktion. Derzeit sieht es nicht so aus, ob sich das unter Sanktjohansers Präsidentschaft gravierend ändert. So ist sein Statement letztlich auch ein Frontalangriff gegen die Intelligenz der Kunden, die er mit seinen schlauen Sprüchen ganz offensichtlich für dumm verkaufen will.