Frühstück macht depressiv – mich, heute. Genauer gesagt befördert die Frühstüchslektüre meine Depression: “Frühstück macht schlau” – so steht es heute in der WamS, und ich verschlucke mich fast daran. Das hat seine Gründe:
Nein, wir brauchen keine Ernährungsbildung in der Grundschule, hat die Kultusministerkonferenz in der vergangenen Woche gesagt. Nein – die brauchen wir wirklich nicht, weil die Kleinen sowieso nichts daraus lernen – vor allem nicht, wenn die Ernährungsbildung in den ersten beiden Schulstunden erfolgt. Nach Daten des Robert Koch-Institutes gehen hierzulande immer noch bis zu 30% der Kinder regelmäßig ohne Frühstück aus dem Haus – was bedeutet, dass sie unterzuckert der Schule landen; und wer unterzuckert in die Schule kommt, lernt sowieso nichts. Konzentrationsmangel, Leistungsabfall, Müdigkeit sind typische Folgen einer Hypoglykämie. Derzeit wird viel über einen späteren Unterrichtsbeginn diskutiert, weil sich das Phänomen schläfriger bis komatöser Schüler in den ersten zwei Schulstunden quer durch deutsche Klassenräume zieht. Vielleicht ist das gar keine Folge von Schlafmangel und Eulentyp. Vielleicht ist es schlicht und einfach dem fehlenden Frühstück geschuldet.
Gerade ist die wohl tausendste Studie zur Bedeutung des Frühstücks für Kinder erschienen, durchgeführt an der walisischen Universität von Cardiff – mit schier unglaublichem Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich guter Leistungen wird durch ein vollwertiges Frühstück verdoppelt. Doch auch die 999 Studien aus den vergangenen 40 Jahren sind schon zu zu ähnlichen Ergebnissen gekommen: Ein gutes Frühstück fördert Konzentration, Lern- und Gedächtnisleistung der Kleinen. Auch Kultusminister scheinen ohne Frühstück im hypoglykämischen Zustand zu tagen, denn aus all diesen Studien haben sie offenbar nichts gelernt. Zu verstehen ist allenfalls, wenn die Politik argumentiert, Schule könne nicht herhalten für alles, was eigentlich Aufgabe einer Erziehung in der Familie ist. Die vielbesungenen Helikoptereltern – um alles kümmern sie sich. Eine halbe Stunde früher aufstehen scheint aber nicht drin zu sein. Zu dumm, um die Bedeutung des Frühstücks zu begreifen, sind moderne Eltern sicher nicht. Bleibt als Erklärung nur noch: Sie sind zu bequem. Zur Vermeidung von Hektik und Stress am Morgen gibt es nur eine, allerdings absolut wirksame Lösung: Früher aufstehen. Eltern sind dazu offensichtlich schlicht nicht bereit. So wäre es denn ein wichtiger und nötiger Akt verantwortungsbewussten staatlichen Erbarmens, wenn sich Schule der Ernährung annimmt – im Sinne der Gesundheit und Bildung der nachfolgenden Generation.
Übrigens: Der Geschichte unter dem Titel „Frühstück macht schlau“ von Helen Schiek widmet die heutige WELT AM SONNTAG eine ganze Seite. Schön geschrieben hat sie das, doch mich deprimiert es: Eine Seite zu einem altbekannten Thema und eine Studie, die Nichts neues bringt. Wie traurig ist das denn. „Frühstücke wie ein Kaiser“ – das mahnte schon meine Großmutter an. Dann kam die Ernährungswissenschaft, die sich seit fast einem halben Jahrhundert mit Studien, Projekten, Aktionen, Büchern, Broschüren rund um das Frühstück bemüht, vor allem auch Eltern zu überzeugen, wie wichtig das Frühstück für den Nachwuchs ist. Alles vergebens. 40 Jahre lang muss ich nun schon das Mantra hören „Frühstück macht leistungsfähig, wach und schlau“. Geändert hat sich nichts. Im Gegenteil – in Familien ist das Frühstück ein aussterbendes Ernährungstool. 40 Jahre lang Ernährungsinformation, -aufklärung und -beratung zum gesunden Frühstück – offensichtlich alles für die Katz. Wenn das nicht deprimierend ist! Auch Frau Schiek fällt in ihrem WamS-Artikel schließlich nichts anderes ein als den fürsorglichen Staat zu rufen – die Schule soll’s regeln: statt Ernährungsbildung bietet man doch besser gleich das fertige Frühstücksbüfett an. Tagesverwahranstalt mit Vollpension. Das wär doch eine feine Lösung. Und was lernen die Kleinen daraus? Dass man sich ums Essen im Leben nicht kümmern muss, weil es sowieso immer jemand hinstellt? Wohl bekomms!
Liebe Kultusminister, brauchen wir Ernährungsbildung wirklich nicht? Vielleicht haben die klugen Leser des tellerrandblogs ja die finale Idee zur Lösung der Frühstückskrise.
Danke für deinen Tollen Bericht.
Ein sehr Interessantes Thema. Bei mir ist es eher so das ich morgens kaum was Essen kann und erst Mittags hunger verspüre
Durch meine Arbeit mit Klasse 2000 bekomme ich mit, was frühstücksmäßig in den Familien passiert, denn Kinder sind sehr mitteilungsbedürftig und das Thema “Frühstück” ist in diesem Programm irgendwie immer präsent. Ich erkläre die Wichtigkeit immer wieder,die Kinder wissen es auch. Einige Lehrer haben auch Pakete mit Knäckebrot deponiert, damit sie etwas für die Schüler haben, die zwischendurch Hunger bekommen. Es gibt auch Lehrer, die ihre Schüler dazu animieren, Teile des Pausenfrühstücks zu teilen. Aber was nutzt es, wenn es in den Schulen gelehrt wird und die Umsetzung in den Familien klappt dann trotzdem nicht? Eltern leben vor und wenn Mama kein Frühstück braucht… Ich glaube, es wird noch Studie 1001 folgen. Wenn in der Familie keine Änderung erfolgt, dann nutzt auch Ernährungsbildung nicht viel. Dann verläuft das Ganze nachher im Sand. Die Erfahrung zeigt, dass zu Elternabenden in Kitas und Schulen immer die kommen, bei denen bereits ein gutes Vorwissen vorhanden ist. Und die Kinder alleine, die schaffen es dann auch nicht. Es ist deprimierend. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Daranbleiben!